Soziolinguistische Beschreibung der Namen bulgarischer Berge

Von Wassil Rainov (Sofia)

Wie in Umberto Eco’s Roman „Der Name der Rose“ keine Rosen, so kommen in dem neulich ins Bulgarische übersetzten Theaterstück von Peter Turrini „Alpenglühen“ kein Glühen und keine Alpen vor. Die Berge auf der Balkanhalbinsel sind jedoch zu sehen, zu spüren, selbst zu hören und mit Empathie wahrzunehmen.

Ausgehend von diesem Standpunkt bei der Beantwortung einer Fragestellung, die auch von dem Projektleiter emfohlen wurde, gehe ich nicht von der Etymologie und auch nicht von sogenannter regionaler Geographie aus, sondern von gebräuchlichen Analyseprinzipien der Soziolinguistik.

In diesem Zusammenhang überprüfe ich folgende Fragestellungen: A. wie die Berge in Bulgarien bezüglich folgender Eigenschaften bewertet werden: 1.“alt“, 2.“hoch“ und 3.“alpin“. Dabei interessiert mich, wie sie sich im üblichen Sprachgebrauch oder in der „Volkspsychologie“ bzw. dem „common sense“ Verständniss manifestieren. Â. Wie kann man diesen Gebrauch beurteilen?

Die so konzipierte Untersuchung könnte auch die potentielle Multikulturalität einbeziehen. So verknüpfen meine Bemühungen verschiedensten Sprachwelten, die in Bulgarien vorkommen – das sogenannte Thrakische Sprachsubstrat, die Protobulgarische Mythologie, die byzantinischen Einflüsse, die türkischen Sprach-und Lexikalkomponenten sowie weitere Sprachelemente.

Die vorgesehenen Grundelemente des Gesamtprojektes (hier werden nur einigeUntersuchungsergebnisse wiedergegeben), sind im ANOVA-Experiment durchgeführt. Drei Gruppen von Untersuchungspersonen (UP) standen zur Verfügung:

A. Experten-Linguisten, 30 UP (je 15 männlich und 15 weiblich);
B. Studenten (techn. Hochschulen, 30) und
C. Senioren (über 75 Jahre alt, mit Mittel-und Hochschule ).

Die UP sollten folgende Frage beantworten:

„Welche Berge sind a) alt, b) hoch und c) alpin“.

Die Antwortenden konnten unter 20 Namen auswählen. (Nebenbei sei vermerkt, dass in Bulgarien zwölf Gipfel eine Höhe über 1500 m haben.)

  1. Das Rila-Gebirge mit dem Mussalagipfel (2925 m) – der höchste auf der Balkanhalbinsel.
    Morphologisch Alttertiär, Mussala – auf türkisch „zu Allah“, alpin.
  2. Pirin (2915 m). Alttertiär, gennant nach dem altslavischen Gott Perun; alpin.
  3. Stara planina – Aemon, Hemus (römisch), Kodja Balkan (türkisch – Kodja bedeutet alt und gross), ein junggebildeter Berg. Von diesem Namen leitet sich auch die Bezeichnung der „Balkanhalbinsel“ ab; höchster Gipfel: 2376 m.
  4. Vitoscha – Neogen Quaterner, höchster Gipfel 2290 m, mittelaltbulgarisch.
  5. Osogowo – Ruen, 2252 m, Tertiär.
  6. Slawjanka – Die Slawin.
  7. Rodopi – der Name stammt aus den klassischen altgriechischen Zeiten. Geologisch: proterozoische Steine aus dem Tertiär, das grösste Gebirge Bulgariens.
  8. Belasitza – Weissberg.
  9. Vlachina – von ‚Valachen‘.
  10. Sredna gora – Mittelberg.
  11. Malaschevska planina – Kleinberg
  12. Ograzden – Mauerberg.

Ich habe noch 8 Namen von Bergen nach der Methode „Monte Carlo“ ausgewählt. Die UP sollten von 20 Namen nach drei Prädikaten – alt, hoch und alpin -“ force choiced“ wählen.

Die Ergebnisse:

UP – A, Ling. UP – B, Stud. UP – C, Sen.

A L T
Rodopi – 70%,R Stara planina – 85%,F Stara planina – 92%,F
p < 0,05 p < 0,05 p < 0,005
H O C H
Rila – 95%,R Rila – 90%,R Rila – 60%,R
p < 0,005 p < 0,005 p < 0,5
A L P I N
Rila – 70%,R Pirin – 50%, R Rila – 50%, R
Pirin – 30% Rila – 50%,R
p < 0,05 p < 0,5 p < 0,5

R – richtig
F – falsch

ANOVA- Stat.

Alle Daten sind statistisch glaubwürdig für ‚p‘.

 

Auch lexikalisch-semantisch und kommunikativ-idiolektiv könnten die Namen der Berge nach dem Bulgarischen als „richtig“ oder „falsch“ bewertet werden. Hier kann man manche kognitive Behauptungen und Mythologeme aus dem ‚common sence trends‘ hinterfragen.

Und hier kommt uns Wittgenstein’s Metaaxiom zu Hilfe: „Die Grenzen meiner Sprache sind (wirklich! W.-R.) die Grenzen meiner Welt“.


Literatur

1. Geografski retschnik na Balgarija. (Geografisches Lexikon Bulgariens). Sofia: Nauka i izkustwo1980.

2. Rainov, W.: Poststructuralismus und Sprachtheorie. Sofia: Trud, 2000 (auf Bulg).

3. Wittgenstein, L.: Tractatus Logico-Philosophicus. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1963.