Von Zhang Yushu (Beijing)
Bevor wir uns mit der Benennung der Berge in China beschäftigen, ist es notwendig, die geographische Lage von China kurz zu skizzieren, und einleitend die Bemerkung voranzustellen, daß China geographisch und flächenmäßig fast einem ganzen Kontinent gleicht, in dem unzählige Berge stehen, wobei sich dieser Vortrag nur auf einige wenige Berge konzentrieren kann. Im Osten wird China vom Ozean umfaßt, und im Nordosten dient der Fluß Amur als Staatsgrenze zwischen China und Rußland. Im Norden teilt China die Steppe und die Ebene mit der Mongolischen Volksrepublik. Sonst wird China im Süden, im Westen und im Nordosten von zahlreichen Bergen umgeben. Das höchste Gebirge der Welt, der Himalaya, erhebt sich im Südwesten, als Grenze zwischen China und den drei Ländern auf der Südseite des Berges: Nepal, Bhutan und Sikkim, nahe dem Weltdach, auf dem Hochland von Tibet, wo die durchschnittliche Höhe über 5000 m ist. Der erste Gipfel des Himalaya, Qomalangma, 8848,13 m hoch, gilt als der höchste Gipfel der Welt. Starker Wind des hohen Himmels macht ein Sammeln des Schnees nicht möglich, so daß über 7450 m Höhe der weiße Schnee nicht mehr sichtbar ist. Zahlreiche riesengroße Eisflüsse bedecken die Bergabhänge und bilden überall riesige Eiswälder in Form von Vorhängen, Tischen, Bambussprossen, Pilzen und Pagoden. Nah und weit eine weiße Welt von Eis und Schnee. Nicht überraschend bedeutet Hymalaza auf Tibetanisch daher Stätte des Schnees.
Im Westen befindet sich die hohe Erhebung des Tian-Shan, was Himmelsberg bedeutet, in Xian Jiang, dem autonomen Gebiet der Uiguren. In der riesengroßen flachen Ebene und Wüste ragt ein gigantischer Berg empor, dessen Gipfel sich in den Himmel hineinzubohren oder den Himmel zumindestens zu berühren droht. Daher glaubt man, es soll ein himmlischer Berg sein.
Und im Nordosten, wo die nationale Minderheit die Mandschuren ihren Ursprung hat, besitzt China in dem hohen Berg Changbaishan die Staatsgrenze zwischen China und Nordkorea. Dieses Gebirgsmassiv, 2744 m hoch, ist das ganze Jahr hindurch von Schnee bedeckt, und der Berggipfel trägt stets eine Schneekrone; er wird volkstümlich Changbaishan genannt, der ewig weiße Berg. Da alle diese drei Bergmassive gegen den Himmel emporragen und deren Gipfel stets von Schnee bedeckt werden, heißen sie je nach Vorstellung der jeweiligen Nationalität Himalaya, tibetanisch: Wohnstätte von Schnee; Tianschan: Himmelsberg; und Changbaischan: der ewig weiße Berg. Es handelt sich nur um eine Naturbeschreibung, die Erfassung der Naturbeschaffenheit, die natürliche Reaktion auf ein objektives, unübersehbares Phänomen. Da alle diese drei Bergmassive erst späteren Datums in das chinesische Reich eingegliedert wurden, gehörten sie nicht in die Vorstellungswelt der ursprünglichen Chinesen im Altertum.
Die Bergbenennung. Wegen der majestätischen Form und unerreichbaren Höhe oder der erreichbar scheinenden Nähe des Himmels wurden viele hohe Gebirge mit ‚Himmel‘ oder ‚himmlisch‘ benannt, wegen des Naturkultes, wegen der Ehrfurcht vor dem Berg, diesem gigantischen Naturphänomen, auch wegen der mystischen Atmosphäre um diese geheimnisvolle, furchterregende und respektfordernde Naturerscheinung, gleichzeitig auch wegen einer gewissen Ohnmacht des Menschen vor der Naturgewalt. Daher wird der Begriff Tian, ‚Himmel‘, bei der Benennung der Berge häufig gebraucht.
Uns ist schon bekannt der Tianshan, der Himmelsberg, der sich als der wichtigste und höchste Berg im Westen erhebt, dann der Tiandaishan, der Berg der Himmelsplatte, der Tianmushan, der Berg der Himmelsaugen, und der Tianzhushan, die Himmelssäule.
Daß die Benennung der Berge den religiösen Glauben und die Weltauffassung der Chinesen demonstriert und ihren Glauben und ihre Phantasie wiederspiegelt, zeigt sich in den folgenden fünf Riesengebirgen. Im Gegensatz zu Europäern haben Chinesen generell einen starken Hang zum Pantheismus, der vom Taoismus, der einheimischen Religion der Chinesen, verstärkt wurde, weil der Taoismus, eine sehr tolerante Religion, die keine strengen Glaubenslehren und Gebote besitzt, fast alle volkstümlichen Vorstellungen der Urchinesen vom Universum umfaßt. Die Chinesen haben sich das Weltall so vorgestellt, wie die Europäer vor Kopernikus, obwohl sie das ptolemäische System nicht kannten. Wie bei Dante befindet sich die Hölle für die Chinesen in der Tiefe der Erde und das Paradies im Himmel, mit einem Unterschied: man kennt nicht das Purgatorium, und die Chinesen, denen der Monotheismus unbekannt war, ließen statt einem Gott einen himmlischen Jadekaiser auf dem himmlischen Thron sitzen. Und dieser Kaiser lebte nur in der Volksvorstellung, hatte mit keiner Religion etwas zu tun gehabt, denn sowohl der Buddhismus als auch der Taoismus haben in ihren heiligen Schriften die Existenz dieses Himmlischen Kaisers weder bestätigt noch anerkannt; er wurde einfach nicht erwähnt. Der Konfuzianismus, der streng genommen keine Religion ist, spricht nur vom Himmel als von dem höchsten übernatürlichen Wesen. Da den Urchinesen ihr Land ursprünglich als der Nabel der Welt vorkam, nannten sie ihr Land Reich der Mitte. Der Himmel, ein riesengroßer Palast über unseren Häuptern, wurde von fünf riesengroßen Pfeilern, im Osten, Süden, Westen, Norden und in der Mitte getragen, ähnlich der Weltall-Vorstellung des Ptolemäus. Und diese fünf Pfeiler waren die fünf Gebirge. Der Himmel war für sie auch nur so groß, wie weit ihr Blick reichen konnte. Man fragte nicht, ob es außerhalb von China noch einen Himmel gäbe und ob der übrige Himmel noch von anderen Säulen getragen werden müßte. Diese fünf Bergmassive, die als Himmelssäulen den Himmel tragen oder auch den direkten Zugang zum Himmel darstellen, waren für den Kaiser des chinesischen Reiches, der als Sohn des Himmels galt, so wichtig und sogar heilig, daß er sich hierher begeben mußte, um zum Himmel zu beten, oder dem Himmel zu berichten, daß eine neue Dynastie gegründet wurde, oder ein neuer Kaiser den Thron bestiegen hatte, damit diese neue Dynastie oder der neue Kaiser bestätigt würden, sein Gedeihen und Florieren vom Himmel beschützt würde und der Kaiser wirklich als der Himmelssohn legitimiert werden sollte. Diese Zeremonie wurde von dem ersten Kaiser der Qing-Dynastie, Qing-Shi-Huang-Di, eingeführt und von den Kaisern der darauffolgenden Dynastien fortgesetzt. Gemäß den Annalen sind 72 Kaiser hierher gekommen, um ihre Thronbesteigung zu feiern und den Himmel um Frieden und Glück zu bitten. Um ihre Frömmigkeit zu zeigen, ließen sie dort Tempel erbauen.
Im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurden diese fünf Bergmassive, kurz fünf Berge, von dem Kaiser Xuan-Zhong der Tang-Dynstie zu Königen und Kaisern der Berge proklamiert, wobei die Stütze im Osten besonders wichtig war.
Es ist der Tai-Shan in der Provinz Shandong, dem Geburtsort des Konfuzius. Der Hauptgipfel des Tai-Shan ist 1545 Meter hoch. Unter den hohen Bergen in China ist er nicht hoch. Zum Beispiel: der Konga-Berg, der höchste Berg in der Provinz Sichuan, ist 7556 m hoch. "Kon" bedeutet auf tibetanisch Eis und Schnee und "ga" heißt weiß, also Berg des weißen Eises und Schnees. Und der Jadedrachenschneeberg, der höchste Berg der Provinz Yunnan, ist 5596 m hoch. Da der Taishan im Osten des Landes steht, dort, wo die Sonne aufgeht, nahe dem gelben Meer, mitten auf einer Ebene, auf der weit und breit kein überragender Berg in Sicht kommt, scheint er besonders hoch zu sein. Außerdem ist die Höhe eines Berges in der Vorstellung des Volkes stets ein relativer Begriff, der mit der Bedeutung des Berges nicht direkt zu tun hat.
Die Chinesen pflegen einander zu wünschen: Guo Tai min an, Prosperität dem Lande und Frieden, Ruhe und Sicherheit dem Volk. Und dieser Berg heißt Tai, was in der chinesischen Sprache Prosperität, Frieden, Ruhe bedeutet; Taishan ist also der Berg der Prosperität, des Friedens, der Ruhe, die sich das Volk wünscht.
Viele Dichter haben den Tai-Shan besungen. Und der Vers von dem berühmten Tang-Dichter Du Fu: "Wer seinen Gipfel besteigt, für den ist die ganze Welt unter ihm klein geworden", ist schon zum Sprichwort geworden. Auf dem Berg wurde ein hoher Triumphbogen errichtet, mit der Bezeichnung: "Das Süd-Himmelstor", um zu zeigen, daß der Himmel erreichbar nah ist. Und diese Himmelsnähe wird durch die über 7000 Stufen, die vom Bergfuß bis zum Berggipfel führen, demonstriert, auf denen früher die zahlreichen Pilger und heute die vielen in- und ausländischen Touristen auf und ab steigen.
Der Mittelberg, Songshan, befindet sich in der Provinz Henan, in der Mitte des großen Reiches, am Ufer des Gelben Flusses, mitten in der Wiege der chinesischen Kultur, wo viele Dynastien ihre Hauptstadt hatten. Dadurch wird die Wichtigkeit dieses Berges offensichtlich. Song bedeutet in der chinesischen Sprache: emporragend, ein emporragendes Gebirge, um zu zeigen, wie hoch und wie herrlich er ist.
Der Hauptteil dieses Bergmassivs heißt Tai-Shi-Shan, sieht wie ein schlafender Drache oder eine schlafende Schönheit aus, je nach der Phantasie des Beobachters. Er ist schön wie eine bemalte spanische Wand, prächtig wie ein gesticktes Banner. Er ist 1494 m hoch, der Gipfel des Berges ist breit und flach und wird daher Tai-Shi benannt – höchste Kammer, die Kammer auf dem Gipfel. Der zweithöchste Berg dieses Bergmassivs ist der Shao-Shi-Berg, Kammer auf dem zweithöchsten Gipfel, der aus neun Gipfeln besteht, die aufblühenden Lotosblumen gleichen.
Der Westberg, Huashan, liegt in der Provinz Shanxi, auf der Ebene des Gelben Flusses, 2200 m über dem Meeresspiegel. Hua bedeutet Blume, auch eine andere Bezeichnung für China in der chinesischen Sprache. Das ganze Bergmassiv sieht wie eine riesengroße Lotosblume aus, die gegen den Himmel aufblüht. Der berühmte Tang-Dichter Li Taibai hat mit seinen Versen diesen Berg so beschrieben: "Der Stein dient als Lotosblume, und die Wolken als Altar, der Gelbe Kaiser und die antiken weisen Kaiser kamen hierher zu Besuch. Dieser Berg besteht aus steilen Bergwänden." Dieser Berg ist bekannt als der heilige Ort des Taoismus. Seit der Tang-Dynastie wurde der Taoismus von der kaiserlichen Familie bevorzugt, weil der Begründer des Taoismus, der alte Philosoph Laotse, eigentlich Li Er heißt, also aus der Familie Li stammt. Und der Kaiser der Tang-Dynastie hieß auch Li. Das ist der Grund für die Bevorzugung. Und der Taoismus wurde zur führenden Religion in China erhoben.
Der Nordberg, Hengshan in der Provinz Shanxi (Westen des Berges) ist 2017 m hoch. Heng bedeutet Ausdauer, Zähigkeit, eine Tugend der Chinesen. Das Bergmasssiv besteht aus zwei gegenüberliegenden Bergen, im Osten der Himmelsgipfel-Berg, im Westen der Berg der grünen Wand, und ein Fluß fließt dazwischen. Vor über 4000 Jahren hat der legendäre Kaiser Shun auf der Reise diesen Berg entdeckt und ihm den Namen Nordberg verliehen. In der Qing-Dynastie wurden 12 Berge als berühmte in der Welt gefeiert, und auf der Liste stand der Hengberg auf dem zweiten Platz. Auch der Hengshan ist eine heilige Stätte für den Taoismus in China.
Der Südberg, Hengshan, liegt in der Provinz Hunan; er ist 1290 m hoch. Heng bedeutet Ausgeglichenheit. Der Südberg besteht aus Gipfeln mit den Namen: Lotosblume, Purpurbaldachin, Himmelssäule etc. Ein bekannter Gelehrter der Qing-Dynastie, Wei Yuan, hat diese fünf Berge miteinander verglichen und beschrieben. Der Hengshan, der Nordberg, scheint zu gehen; der Taishan, der Ostberg, scheint zu sitzen; der Huashan, der Westberg, scheint zu stehen; der Songshan, der Mittelberg, scheint zu liegen, der Hengshan der Südberg scheint zu fliegen. Der höchste Gipfel des Südberges gleicht einem Vogelkopf, die anderen Gipfel bilden zwei aufgeschlagene Flügel, wenn der Riesenvogel in den Himmel aufzufliegen startet.
Eine Variation über die Benennung der fünf Berge hängt mit der alten chinesischen Mythologie zusammen. Nach der chinesischen Mythologie spielt der Riese Pan Gu bei der Schöpfung der Welt die entscheidende Rolle, indem er aus dem Chaos den Himmel und die Erde mit seiner Axt auseinander trennt. Nach seinem Tod hat sich Pan Gu in fünf gigantische Berge verwandelt: Sein Kopf wurde der Ostberg, sein Körper die übrigen vier Berge, und seine Haare wurden Bäume, Blumen und Gräser auf diesen Bergen.
Huangshan und Lushan
Wenn diese fünf großen Gebirge als Götter verherrlicht wurden, so gibt es noch einen Superberg, der diese fünf Berge an Schönheit noch übertroffen hat. Das ist der Huang Shan, der Gelbe Berg, der einen besonderen Platz unter den Bergen in China einnimmt. Die Farbe gelb hatte früher in China eine symbolische Bedeutung, sie sollte die kaiserliche Majestät symbolisieren. Wer den Kaiserpalast in Peking besucht hat, weiß, daß diese Farbe fast vom Kaiser monopolisiert wurde. Dieses Riesengebirge steht in der Provinz Anhui. Es heißt eigentlich Duoshan. Nach der Sage gilt der sagenhafte Kaiser der Chinesen, Huangdi, als der chinesische Arminius, dem es gelungen ist, das chinesische Volk vor den Barbaren zu schützen. Da er als Huangdi (als der Gelbe Kaiser) in die Geschichte eingegangen ist, wurde dieser Berg, wo seine Himmelsfahrt stattfinden sollte, auch nach ihm benannt, um dieses uralten Volkshelden des chinesischen Volkes zu gedenken. Der Gelbe Berg und der Gelbe Fluß gelten als Wahrzeichen der chinesischen Kultur. Und der Kaiser Xuanzhong der Tang-Dynastie hat vermutlich auch gemäß dieser Sage ganz offiziell diesen Berg als den Gelben Berg getauft. Wie angedeutet, hat die landschaftliche Schönheit des Gelben Berges auch die der vorhin erwähnten fünf Gebirge übertroffen. Der hervorragende Geograph und berühmte Reisende der Ming-Dynastie, Xu Xiake, der alle diese Berge besucht hat, fällt bewundernd das folgende Urteil über den Huangshan: "Nach der Besichtigung der fünf Gebirge hat man kein Interesse mehr, andere Berge zu besichtigen. Aber nach der Besichtung des Gelben Berges ist das Interesse für die fünf Berge auch verloren." Dieses Bergmassiv ist 150 km lang und breit. Es erheben sich hier insgesamt 72 verschiedenartige bizarre und hohe Gipfel, darunter 36 majestätische und bedrohliche und 36 zierliche und graziöse Gipfel, mit steilen Felsen und furchterregenden Bergwänden. Die drei Hauptgipfel – Lotosblume, Himmels-metropole und Licht – sind alle über 1800 m hoch. Da die Wolkenmeere, die grotesken Kiefern, Wasserfälle und die in die 70 Grad steile Bergwand eingehauenen Steinstufen pittoreske Landschafsszenen bilden, die die Phantasie der Künstler und der Dichter anregen, wird der Gelbe Berg von Malern der chinesischen Malerschule eifrig frequentiert, weil die chinesische Pinselmalerei in erster Linie eine Malerei der Landschaft ist, die aber hauptsächlich aus Bergen und Flüssen besteht. Daher heißt sie auch Malerei von Berg und Wasser. In den Bildrollen der chinesischen Landschaftsmalerei sind hauptsächlich Wasserfälle, Schluchten, D6den und Gipfel zu sehen. Die bekannten Berge, vor allem der Huangshan, liefern ihnen die Lieblingsmotive.
Damit kommen wir an einen Berührungspunkt zwischen der Kunst und den Bergen heran. Die Berge sind auch eine ideale Schule für Dichter und Maler, ja für Künstler überhaupt. Auch die Chinesen legten früher einen großen Wert auf die Bildung durch die Wanderung. In China gingen nicht die Handwerker auf die Wanderung, die vor allem die Familientradition erben, pflegen und entwickeln sollten, sondern die Dichter und Künstler. "Zehnttausend Li zurücklegen und zehntausend Bücher lesen", galt als ein Bildungsgrundsatz, wobei man hauptsächlich an die berühmten Berge und Flüsse dachte.
Noch eine andere Rolle spielt der Berg in China: als idealer Ort für die Einsiedler, was sich etwa bei der Benennung des Berges Lushan deutlich zeigt. Lushan bedeutet in chinesischer Sprache: Berg der Hütte, genauer der Einsiedlerhütte. Der Lushan ist ein hoher Berg in der Provinz Jiangxi, am Ufer des Yangtse-Flusses. Der Taoismus ist der Ursprung der Ideen des Einsiedlerdaseins in China. Müde des Dienstes am Hof mit dem launenhaften, schlechtberatenen und daher unberechenbaren Kaiser und den intriganten, machtkampfkundigen Höflingen, erhaben über irdisches Streben nach vergänglichem Ruhm und Reichtum, bestrebt, der Gefahr der Fürstenungunst fernzubleiben, der geistigen Unterdrückung zu entkommen und die unbeugsame und unabhängige Haltung zu bewahren, pflegten manche großen Dichter und Gelehrten in den bekannten Bergen ihren Zufluchtsort für das Einsiedlerdasein zu suchen. Der bekannte Lushan hat seinen Namen den Einsiedlern zu verdanken. Es waren zur Zeit der Zhou-Dynastie, im achten Jahrhundert vor Christus, oder zur Zeit der Han-Dynastie, also im zweiten Jahrhundert vor Christus, sieben Brüder, die auf diesem Berg Hütten gebaut und unter dem Einfluß des Taoismus darin ein Einsiedlerdasein geführt haben sollen, um in der Natur ihre Identität zu bewahren und ihr Selbstbewußtsein zurückzugewinnen. Dieser Berg wurde nach der Hütte dieser Einsiedler benannt. Im Laufe des tausendjährigen Feudalismus gab es viele bekannte Gelehrte und Dicher, die auf diesem Berg ihre Einsiedlerhütte gebaut haben, darunter der bekannte Dichter Tao Yuangming der Jin-Dynastie. Es wurden aber später auch bekannte Schulen hier gegründet, Lehranstalten des Konfuzianismus, von konfuzianischen Gelehrten, die auf die Karriere am Hof pfiffen und sich hierher zurückzogen, nicht nur um zu meditieren, sondern auch um Zöglinge zu erziehen, im Sinne des Konfuzianismus. Diese bekannten Schulen wurden als Vorläufer der modernen Universitäten betrachtet, besonders bekannt waren die Schulen in Lushan und Huangshan.
Es gibt viele Berge, die nach der Naturgestalt benannt wurden, was die Phantasie und den Wunsch des Volkes zum Ausdruck gebracht hat. Zum Beispiel gibt es in der berühmten Touristenstadt Guilin einen Berg des Elephantenrüssels, einen Berg des Kamelrückens und einen Berg des Neumondes, die heute als touristische Attraktionen viel bewundert werden.
Aber viele andere Berge sind eben wegen ihrer Naturgestalt mit Sagen und Mythen geschwängert, was sich auch in den Bergnamen zeigt.
Einige kuriose Beispiele:
Wu-Gebirge: An der Grenze zwischen den Provinzen Sichuan und Hubei erhob sich ein großes vielgipfeliges Bergmassiv mit vielen dicht aneinanderstehenden, hohen und steilen Felsen. Der Yangtse-Fluß, der die Provinz Sichuan durchfließt und in die Provinz Hubei einfließt, wird dadurch gezwungen, in einem engen Flußbett zu fließen. Daher ist das Wasser hier besonders reißend und strömend. Die steilen Bergwände sehen so aus, als ob sie mit einer Himmelsaxt gewaltig auseinander gespalten wurden, und auf beiden Ufern des sonst majestätisch stömenden, an dieser Stelle jedoch hastig reißend sich schlängelnden Yangtse-Flusses stehen steil emporragende Bergwände, dunkle gigantische Felsen, Tag und Nacht umschwebt von Nebel und Dunst, von fliegenden und schwebenden Wolken, so daß diese Gipfel mal sichtbar, mal unsichtbar werden und dadurch sehr mystisch wirken, mystisch, aber doch poetisch und malerisch. Nicht nur die Einwohner dieser Gegend, sondern auch die Passagiere, die mitten durch die Berge, stromauf- und abwärts fahren, werden unwillkürlich von dem Anblick dieser Gipfel beeindruckt, fasziniert und an uralte Legenden und Mythen erinnert. Daher heißt das riesengroße Bergmassiv Wu-Gebirge, ein Sammelbegriff für die Berggruppen, die mit 12 emporragenden Gipfeln auf beiden Ufern des Yangtse stehen und sich insgesamt über 192 Kilometer entlang ausdehnen.
Wu bedeutet Hexe, oder Hexenmeister. Der Wu-Berg besteht aus zwei Gruppen: Das Große Hexen-Gebirge und das Kleine Hexen-Gebirge. Auch manche Gipfel führen Namen, die einen märchenhaften Charakter haben: Gipfel der Göttinnen, Gipfel der schmachtenden Ehefrau, Gipfel des Sonnenaltars. Daher ist diese Gegend ein Lieblingsschauplatz von Mythen und Sagen. Der Dunst und die Wolken, die das ganze Jahr hindurch um die Gipfel schweben, verursachten die schöne Legende von den Wolken und dem Regen des Wu-Berges, die von dem berühmten Dichter Song Yu der Han-Dynastie durch die schöne Göttin des Wu-Gebirges in der Literaturgeschichte und auch in der Volksvorstellung verewigt wurde.
Es besuchte einmal, so geht die Sage, der König des Landes Chu diese Gegend. Beeindruckt durch die Gipfel des Wu-Gebirges sah er im Traum eine umwerfend schöne Frau, die sich ihm vorstellte:
"Wie ich erfahre, sind Sie zu Besuch hierher gekommen. Ich möchte mich Ihnen hingeben und mit Ihnen die Matte und das Kopfkissen teilen." So verbrachte der König eine Liebesnacht mit ihr. Beim Abschied sagte sie: "Ich befinde mich mal auf der Sonnenseite und mal auf der Schattenseite des Wu-Gebirges. Am Morgen bin ich die Morgenwolke, und am Abend verwandle ich mich in Regen. Morgens oder abends bin ich stets unter dem Gipfel Sonnenaltar zu finden." Diese schöne Frau soll die Inkarnation der Göttin des Wu-Gebirges sein. Zum Andenken an diese göttliche Geliebte für eine unvergeßliche Nacht ließ der König einen Tempel erbauen. Eigentlich soll das besagen, daß die Göttin des Wu-Berges Wolken herbeibeschwören und den Regen fallen lassen könnte. Aber im klassischen Sprachgebrauch dienen die Wolken und der Regen des Wu-Berges als eine Andeutung für ‚making love‘. Der deutsche Übersetzer Franz Kuhn benutzte einfach diese Metapher in seinen Übersetzungen; vermutlich glaubte er, daß die intelligenten deutschen Leser aus dem Kontext herausbekommen könnten, worauf er damit hinauswollte.
Inmitten dieser düsteren, unheimlichen Gipfel ragt ein zierlicher Fels in anmutiger Frauengestalt empor, der bekannte Gipfel der Göttin, worüber eine schöne Sage verbreitet ist, die sich einer großen Beliebheit erfreut. Dieser Sage nach soll die Göttin die 23. Tochter der göttlichen Mutter des westlichen Himmels sein. Einmal fliegt sie auf den Wolken über das Wu-Gebirge und erblickt gerade hier die zwölf bösen Drachen beim Toben. Diese Drachen verwandelt sie mit göttlicher Magie in Steine, nämlich in diese 12 Gipfel, die nun ewig hier stehen. Diese Gipfel behinderten den Fluß des Stromes, so daß eine schreckliche Überschwemmung entstand. Die Göttin half den Menschen, das Hochwasser zu bändigen und mitten zwischen den Gipfeln einen Durchgang zu schaffen. In das irdische Leben und in die Menschen verliebt, wollte sie schon nicht mehr zu ihrer göttlichen Mutter in den westlichen Himmel zurückkehren, so blieb sie hier in Form einer zierlichen Steinfigur stehen, um Vorbeifahrenden die Richtung zu zeigen und ihnen ihre Gunst zu gewähren. Ähnlich der Lorelei von Bingen und der schönen Fee Undine aus der Feder von Fouqué, eine Fee zwar, aber vermenschlicht, eingebürgert, human, sanftmütig und hilfsbereit, wie eine schützende Mutter, die ganz kämpferisch werden könnte, wenn ihre Kinder bedroht würden, was auch den Volkscharakter verrät.
Xiaogushan, in der Provinz Anhui gelegen, wo der Yangtse-Fluß sich erweitert zu einem meerartigen Strom, der abwärts gegen das Meer fließt, mit mitreißenden, strömenden Wassermassen. Mitten im reißenden Wasser ragt ein Berg empor, eine isolierte Insel im Yangtse, die aus steilen Bergwänden besteht. Dieser mitten im Fluß emporragende Berg sieht, mit dichten Bäumen bedeckt, trotz seiner bizarren, grotesken Felsbrocken, zart und anmutig aus, wie eine hübsche Jungfrau, die mitten im Wasser steht, den vorbeifahrenden Schiffen mit Wohlwollen nachblickt und die Schiffer mit ihrer einmaligen Schönheit bezaubert.
Über diesen Berg wird im Volksmund eine schöne Sage verbreitet:
An dieser Stelle waren früher oft Schiffe gekentert und die Passagiere verunglückt, weil zwei Wassermonster hier ihr Unwesen trieben. Die Göttin im Himmel erfuhr diese Nachricht, ließ aus Mitleid mit den Menschen himmlische Kämpfer diese zwei Monster überwältigen, die sich dann gebessert und zu guten Geistern verwandelt haben. Und diese Göttin, eine schöne Jungfrau, kam selbst aus dem Himmel herab auf die Erde, um ein irdisches Leben zu führen. Mit der Zeit verliebte sie sich in einen jungen Mann auf dem gegenüberliegenden Ufer, heiratete ihn und führte ein glückliches Leben mit ihm. Und viele Jahre später verwandelte sich die Göttin in diesen Berg, um ewig mit den Menschen zusammenzuleben, die sie lieb gewonnen hatte und das Leben und das Treiben der Menschen beobachten zu können.
Diese Göttin heißt Xiao Gu, kleine Jungfrau, und dieser Berg wurde nach ihr benannt, Xiao Gu Shan. Da der Nachwelt diese Sage nicht mehr geläufig ist, ist der kleine Jungfrau Berg zu einem kleinen einsamen Berg geworden.
Berge als heilige Stätten der Religionen
Da die Berge wegen ihrer ungeheuren Höhe schon den Himmel zu berühren und sogar in den Himmel hineinzureichen schienen, waren sie ein idealer Ort für die Kommunikation mit dem Himmel. Kein Wunder, daß der Taoismus und der Buddhismus hier florierten und viele taoistische oder buddhistische Tempel gebaut wurden. Fast in allen berühmten Gebirgen kann man taoistische Tempel finden. Aber es gibt auch Berge, die vorwiegend Heilige Stätten des Buddhismus sind.
Wutai-Gebirge: Das Wutai-Gebirge befindet sich in der Provinz Shanxi. Die ca. 3000 Meter hohen fünf Gipfel des Wutai-Gebirges sind flach wie fünf Plattformen, daher der Name "Wutai" (fünf Plattformen). Mitten im Gebirge finden sich mehrere Tempel und Klöster, 47 an der Zahl. Das Wutai-Gebirge ist eines der vier bekanntesten "Heiligen Buddhistischen Gebirge" Chinas. Hier soll einst der Bodhisattwa Manjusri, ein Jünger von Sakyamuni, gelebt haben. Er wurde von Kaisern verschiedener chinesischer Dynastien als Heiliger verehrt. Schon während der Tang-Dynastie (618-907) wurde das Wutai-Gebirge weltbekannt. Ein Ort, wohin sich viele ausländische Pilger begaben. Auch japanische Kaiser ließen regelmäßig dem Bodhisattwa Gold, Silber und Juwelen darbringen. Auch der erste Kaiser der Qing-Dynastie zog sich nach dem plötzlichen Tode seiner Favoritin, die als Opfer einer Hofintrige ermordet wurde, hierher zurück, um zu meditieren.
Der Rote Berg von Lhasa, wo der berühmte imposante Tempel Potala am Bergabhang steht, ist ein heiliger Ort des Buddhismus. Eine andere heilige Stätte des Buddhismus ist der Putuo Berg oder Luojia Berg. In dem Roman Die Pilgerfahrt gen Westen wurde geschildert, daß der Affenkönig ab und zu nach einem heiligen Berg im Ostsee fliegen muß, um die Hilfe von dem Guanyin zu erflehen. Dieser sagenhafte heilige Berg existiert tatsächlich. Und zwar auf einer kleinen Insel an der Küste der Provinz Zhejiang, 50 km entfernt von der Stadt Ningbuo. 1606 war dieser Berg schon als ein buddhistischer Staat im Meer weltberühmt. Der Berg hieß eigentlich Luojia, umbenannt nach dem buddhistischen Tempel Putuo, der auf Befehl eines Ming-Kaisers gebaut wurde. Sowohl Putuo als auch Luojia sind Übersetzungen aus dem Sanskrit für "schönes Blümchen", das sich auf die schöne Landschaft der Lotosblume im Meer bezieht. Viele andere Berge sind heilige Berge entweder des Taoismus, oder des Buddhismus, in vielen Fällen von beiden Religionen, was die Toleranz der Chinesen demonstriert.
Daß die Berge die Phantasie der Dichter angeregt haben, zeigt sich auch in den literarischen Werken, wo Bergnamen auftauchen. In dem Roman Die Pilgerfahrt gen Westen, der im Westen auch wegen des Affenkönigs bekannt ist, gibt es einen bekannten Berg, den Berg der Flammen, dessen gespenstische, ungeheure rote Bergwände ideal für den Sitz der Dämonen waren, und der König der Kuhdämonen hatte sein Lager in diesem Berg, ein Monstrum, das Flammen ausspie, so daß niemand an diesem Berg vorbeigehen konnte. Da der chinesische Westen viele gigantische Berge mit bedrohlichen, unheimlichen Felsen und mit Dschungel bedeckten Gipfeln besitzt, ist dieser Ort auch ein bevorzugter Schauplatz für die Wuxia-Romane, eine besondere literarische Gattung, die in der westlichen Literatur keine Parallele findet. Diese Literatur ist eine Mischung von Kong-Fu-Meister-Geschichten und Gespenster-Geschichten.Diese modernen literarischen Produkte verlegen ihre Handlung immer in die Vergangenheit, spielen also immer in historischem Gewand. Sie beinhalten den Kampf zwischen konkurrierenden Schulen der Kong-Fu-Meister, zwischen ritterlichen und boshaften Fechtmeistern, zwischen gerecht und ungerecht, zwischen Licht und Finsternis. Und die ungangbaren und menschenleeren Berge dienen als ideale Kulissen für diese Kämpfe, Orte des Treibens und Wirkens jener fiktiven Helden in der Geschichte. Und neben wirklichen erfindet man auch noch fiktive Berge, zum Beispiel: Berge, die Aggressiver Tiger oder Böser Drachen heißen, was andeutet, daß finstere Schulen dort stationiert sind und unheimliche Greueltaten dort geschehen.
Die Literatur, der Bildschirm und die Leinwand sind voll von diesen Wuxia-Romanen oder deren Verfilmungen, sogar der neue Oscar-preisgekrönte Film ‚Der Drache und der Tiger‘ gehört zu dieser Gattung. Bedeutet das eine Erneuerung der Literatur oder einen Versuch der Realitätsflucht? Die Meinungen sind geteilt. Daß sie sich einer großen Popularität erfreut, ist ein Phänomen, das nicht zu übersehen ist.