Mythologie und Gegenwart – der Kaukasus im Europäischen Bewusstsein

Von Herbert Arlt (Wien)

Einleitung
1. Überlieferung und Methodologie
2. Das Beispiel: Amirani/Prometheus
3. Mythos als Fragment
4. Die Überlagerungen
5. Der Rand der Welt

Einleitung

Mitten in den gegenwärtigen europäischen Prozessen erschien ein Roman von Umberto Eco über Lügen, Mythen, Geschichte und Politik, der eine breite Resonanz nicht nur in Europa fand.1 Im Mittelpunkt des Romans steht ein Reich am Rande der Welt. Und gerade so am Rande der Welt lagen die Länder des Kaukasus lange in den griechischen Vorstellungen. Und dennoch hat dieser „Rand der Welt“ nicht nur in diesem Roman das „Zentrum“ nicht unwesentlich beeinflusst, sondern sogar wesentlich geprägt.

Auch in der Gegenwart spielen diese Prozesse der Wechselwirkungen und Transformationen eine Rolle. Mythologie wird bemüht, wenn es um die Erweiterung der Europäischen Union geht. 2 Unterschieden wird zwischen progressiven und reaktionären Mythen in einer Phase, in der kulturelle Reflexionen noch kaum eine Rolle in der Politik der Wirtschafts- und Währungsunion spielen, obwohl die Handlungsweisen selbst kulturell bestimmt sind.3 Mythologische Elemente – auf Slogans reduziert – geistern durch die Gegenwart.

Mythologie prägt den Alltag weltweit nicht nur auf diese Weise: ob Schulbildung in Europa, Politik in den USA oder Japan, Auto-Bezeichnungen in Südkorea bzw. Technologie-Benennungen im WWW – immer wieder sind es nicht nur mythische Namen, die eine Rolle spielen: Es geht um Prägungen auf der Basis von unterschiedlichen Mythologien im gegenwärtigen Alltag weltweit.

In diesem Kontext soll im Rahmen dieses Beitrages folgenden Fragestellungen in verschiedenen Abschnitten anhand des „Mythos“ bzw. der Mythologie von Amirani/Prometheus nachgegangen werden. Erstens: Was ist unter Mythos zu verstehen? Zweitens: Was wissen wir von Mythen bzw. können wir von ihnen wissen? Welche Bedeutung haben Mythen – überliefert in Mythologien – für die Gegenwart (konkret: der „Mythos“ von Amirani4/Prometheus)?

Die Auswahl dieses Beispiels bot sich nicht zuletzt deshalb an, weil Prometheus in allen Sparten der Wissensproduktion insbesondere seit dem 18. Jahrhundert immer wieder ein Symbol und eine Leitfigur des Wissens war. Am Wissen um ihn, seine Entstehung, seine Widersprüchlichkeiten kann daher viel gezeigt werden.

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1. Überlieferung und Methodologie

In der Forschung wird nicht immer (begrifflich bzw. faktologisch) zwischen Mythos und Mythologie unterschieden. So wird zum Beispiel fast allgemein der Begriff „Prometheus-Mythos“ verwendet. Gemeint ist aber die Prometheus-Mythologie, wie wir sie durch Homer5, Hesiod6 oder Aischylos7 kennen. Den Mythos selbst, der der mündlichen Tradition angehört, kennen wir nicht. Ebenso problematisch ist der Begriff „Amirani-Mythos“, dessen schriftliche Fixierungen erst auf das 18. bis 20. Jahrhundert zurückgehen 8. „Beide“ Mythen (bzw. Mythologien) existieren aber schon länger, als ihre schriftlichen Fassungen, was durch schriftliche Quellen belegt ist (nicht aber sie selbst und schon gar nicht ihre Tradierung – und nur Ansätze für ihre Datierung).9

Will man nun in der Erforschung der Mythen und Mythologien nicht im Sinne der Figuren in Umberto Ecos Roman „Baudolino“ handeln (wie dies nicht nur im Mittelalter, sondern auch in der Antike durchaus üblich war10), sind – gerade aufgrund der Sekundärliteratur – einige methodologische Überlegungen vorab notwendig. Was Eco hervorragend nicht nur im Roman „Baudolino“, sondern auch in seinen wissenschaftlichen Büchern 11 gezeigt hat: in der Welt der auf sich selbst bezogenen Sprache ist nahezu alles „beweisbar“; zugleich aber beschreibt er auch, dass diese Beweise (Entsprechungen von Worten, Erzählstrukturen usw.) nahezu wertlos sind, wenn es darum geht, „Ursprünge“, „Genealogien“ usw. zu belegen bzw. „Rekonstruktionen“ zu „beweisen“. Es ist daher eine andere Vorgangsweise zu wählen: ein Annäherungsverfahren. Hier (verteilt auf verschiedene Abschnitte): Erstens eine zeitliche Bestimmung der Überlieferungen und ihres historischen Kontextes – soweit dies überhaupt möglich ist. Zweitens: Die Bestimmung der mythologischen Elemente des Textes. (Bereits Claude Lévi-Strauss hat festgehalten, dass Mythen nicht als Erzählungen aufzufassen sind, sondern als Fragmente 12 und auch nur so erkennbar sind.) Drittens: Das Verhältnis von Geschichte (die keineswegs nur aus überlieferten Texten besteht, sondern auch aus – erst seit kurzer Zeit – datierbaren Knochen, Tonscherben, Ruinen, Werkzeugen usw.13) und den Textelementen in ihren Überlagerungen und damit ihrer Widersprüchlichkeit.

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2. Das Beispiel: Amirani/Prometheus

Das Problem der enthistorisierten Forschungen, die bereits in der „vorgeschichtlichen“ (besser: vorschriftlichen) Zeit Basiselemente der gegenwärtiger Gesellschaften vermuten, liegt nicht selten darin, dass sie sich „national“ beschränken und auch im Falle von Amirani/Prometheus dann von zwei Mythen-Systemen und zwei Kulturen sprechen, wenn die Wechselwirkungen in ihrer Vielfalt und ihren Entsprechungen bzw. Gemeinsamkeiten auf der Hand liegen, aber ebenso die „getrennte“ Rezeptionsgeschichte. Dies führt dazu, dass methodologisch eine Gemeinsamkeit der Kulturen in der „Vorzeit“ ausgeschlossen wird, anstatt gerade die Gemeinsamkeiten als Gegenstand zu entdecken.14

Nicht erst seit der Globalisierung gibt es aber gegenseitige Kenntnisse der kulturellen Errungenschaften von Menschen, die zum Teil sehr weit auseinanderleb(t)en und dennoch eine gemeinsame Praxis der Nutzung hatten.15 Der Unterschied zwischen diesen Formen der kulturellen Praxis in der „Steinzeit“ und der heutigen ist oft nur die Geschwindigkeit, mit der Informationen übertragen werden, nicht aber die Tatsache der Kenntnisse, gemeinsamer Formen der Anwendung, die es immer gegeben hat und deren Symbole und Zeichen sich daher auch entsprechen können.16 Diese Gemeinsamkeiten der Mythen und Mythologien können daher keineswegs nur auf eine condition humaine17 zurückgeführt werden, sondern haben unmittelbar auch mit der historischen „Migration“ (den historischen Wanderbewegungen) zu tun. Nicht umsonst lassen sich daher gemeinsame Vorstellungen von der Unterwelt nicht nur in der Mythologie Griechenlands und Georgiens auffinden, die seit gut zweitausend Jahren teilweise durch eine gemeinsame Geschichte mehr oder weniger verbunden sind, sondern auch den Mythologien Japans.18 Der condition humaine entspricht eher – unter Einrechnung kultureller Differenzen – die Art der „Dokumentation“ der Mythen. Gerade diese hat auch weltweite Gemeinsamkeiten aufzuweisen und zeugt davon, dass es nicht nur Themen, Figuren, Vorstellungen sind, die rezipiert werden, sondern dass es durchaus auch eine gemeinsame menschliche Praxis gibt, selbst wenn diejenigen, die diese Praxis ausüben, nicht unmittelbar miteinander arbeiten, Handel betreiben oder auch nur in einem engeren Austausch stehen.19

2.1. Die historische „Migration“

Bedingt durch die Fortschritte naturwissenschaftlicher Forschungen wurde im 20. Jahrhundert etwas möglich, das gerade für die Geschichtsschreibung von revolutionärer Bedeutung war bzw. sein könnte: die Zuordnung von Datierungen, ohne dass schriftliche Dokumente vorhanden sind. Dies – sowie die DNA-Analysen – waren wesentliche Voraussetzungen dafür, dass Strukturen herausgearbeitet werden konnten, die nicht nur der Welt der Sprache und damit oft auch der Welt der Macht entsprangen. Auf der Grundlage dieser wissenschaftlichen Methoden konnte nun eine Chronologie der „alten Welt“ entworfen werden, die nicht nur wie im Falle der Bibel, der antiken Klassiker oder der chinesischen Quellen einige Tausend Jahre zurückreicht, sondern die neue Dimensionen von Millionen von Jahren umfaßt:

„Jüngere Untersuchungen fossiler und genetischer Funde lassen darauf schließen, dass Hominiden bereits vor über 2 Mio. Jahren Afrika verließen. Das gilt vermutlich schon für den Homo erectus, dann für den Homo habilis bis hin zum größeren und schlankeren Homo ergaster. Wahrscheinlich waren klimatische Veränderungen der Hauptbeweggrund für die frühen Wanderungen. Eine Theorie geht davon aus, dass vor 2-3 Mio. Jahren ein einschneidender Temperaturabfall auf der Erde dafür sorgte, dass sich in Ostafrika tropische Regenwälder in Savannen verwandelten. Die Änderung der Vegetation förderte die Entwicklung der Gattung Homo über den Australopithecus hinaus. Dank der größeren Hirnkapazität, der geringeren Spezialisierung auf eine bestimmte Nahrung und die größere Geschicklichkeit im Umgang mit Werkzeugen paßte sich die Gattung Homo schneller an das offene Gelände an und unternahm bald wertvolle Wanderungen. Anfangs folgten die Menschen wohl ihrer Beute, den Landsäugern, die ihrerseits mit der sich ausdehnenden Savanne Richtung Norden und Osten zogen.

Fundstätten des frühen Homo gibt es an verschiedenen Orten in Asien: in Georgien, in China und auf Java, Indonesien. In Europa tauchten die ersten Menschen viel später auf (vor etwa 1-1,5 Mio. Jahren) und bis vor 500.000 Jahren blieb dieser Kontinent auch nur dünn besiedelt.“20

2.2. Georgien und Griechenland

Die Besiedelung von Georgien, das seit der Antike als Teil Europas wahrgenommen wurde21, erfolgte also viel früher als die anderer Teile. Aber nicht nur das ist in unserem Kontext wichtig. Auch die kulturelle Entwicklung Georgiens ist wesentlich früher anzusetzen als die anderer Teile Europas. Während die kretisch-mykenische Periode um die Zeit 3.000 vor unserer Zeitrechnung (u.Z.) entstanden sein dürfte, die Einwanderung um ca. 2.000 vor u.Z. erfolgte, gehen die kulturellen Funde im Kaukasus bzw. in Georgien weiter zurück.22 Beiden gemeinsam ist eine sehr alte Schriftkultur, was aber von Teilen der Forschung bisher – ebenso wie die anderen kulturellen Leistungen – nur bedingt wahrgenommen wurde. So schreibt Harald Haarmann in seinem „Kleinen Lexikon der Sprachen“, das im Jahre 2001 erschien: „Die schriftsprachliche Tradition des Griech., die sich in eine alte-, mittel- und neugriechische Periode untergliedert, ist die längste der Welt. Es sind zwar ältere Schriftsprachen bekannt (z.B. → Summerisch, → Akadisch, → Ägyptisch), diese sind aber irgendwann ausgestorben. Die Schrifttradition des → Chinesischen, die gern für die älteste gehalten wird, setzt erst um 1200 v.Chr. ein, die des Griech. (Mykenisch-Griech.) aber bereits im 17.Jh.v.Chr.“ 23 Diese Darstellung weicht nicht nur in Bezug auf das Chinesische von früheren und heutigen Erkenntnissen ab. Auch das Georgische wird direkt und indirekt unterbewertet: „Die georgische Schriftsprache gehört mit dem Armen. zu den ältesten Schriftmedien nicht nur der Kaukasusregion, sondern überhaupt ganz Osteuropas. Die georg. Schrift wurde entweder noch im 4.Jh. oder zu Beginn des 5.Jh. n.Chr. eingeführt.“24

Diese Darstellung entspricht ganz dem, wie Georgien rezipiert und dargestellt wurde. In der von Walter Markov herausgegebenen „Weltgeschichte“ wird zwar ebenfalls darauf verwiesen, dass die „ältesten Spuren von Menschen“ „in Transkaukasien und im Kaukasus“ waren, doch relevant ist für diese Darstellung Georgiens nur eine spezifische Form der Staatsbildung: „Im 6./4.Jh. v.u.Z. entstanden auf dem Gebiet der heutigen G. SSR die Staaten Kolchis u. Iberien.“25 Dagegen fällt im dtv-Lexikon (erschienen 1992) der Beginn Georgiens mit seiner Existenz als Kolonie zusammen, denn die Darstellung der „Geschichte“ wird folgendermaßen eröffnet: „Im Altertum stand der westl. Teil G.s (Kolchis) unter grch., der östl. (Iberien) unter pers. Einfluß.“26

In diesem und in anderen Texten ist ein Auseinanderfallen der tatsächlichen Besiedelung, der Entwicklung von Kultur (insbesondere auch der Schrift) und der nachträglichen Darstellungen festzustellen, die sich offensichtlich auch auf die Rezeption der Mythen ausgewirkt hat. Denn es heißt in dem von Hans Wilhelm Haussig herausgegebenen „Wörterbuch der Mythologie“, „Götter und Mythen der kaukasischen und iranischen Völker“: „So ist der griechische Prometheus durch Vermittlung irgendeines Lehrers in diese Folklore herabgestiegen.“27

Im „Lexikon Georgische Mythologie“ schreibt Heinz Fähnrich dagegen: „Die Geschichte des georgischen Staates reicht weit in die Vergangenheit zurück. Mit dem Beginn der späten Bronze- und frühen Eisenzeit in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v.Chr. reiften die Bedingungen für die Entwicklung eines eigenen georgischen Staatswesens heran […] Kolcha war ein Staat im Westteil Georgiens, der sich im 12.-11.Jh. v.Chr. herausgebildet hatte und weite Teile der Ost- und Südküste des Schwarzen Meeres umfasste. Im 8. Jh. erreichte dieser Staat seine größte Machtfülle. Die Urartäer führten erfolglos Krieg gegen die Kolcher. Doch gegen Ende des 8. Jahrhunderts wurde Kolcha ein Opfer der von Norden eindringenden Kimmerer und Skythen. Im 7.-6. Jh. v. Chr. entstanden auf georgischem Boden neue Staaten, von denen das westgeorgische Königreich Kolchis (Egrisi) und das ostgeorgische Reich Iberien (Kartli) die größte Bedeutung erlangten.“ 28

Aber auch Otto Schönberger verweist in seinem Nachwort zur Hesiodschen „Theogonie“ auf ganz andere Prozesse: „Bedeutung hatten für Hesiod orientalische Überlieferungen. Anregungen aus dem Orient strömten nach Hellas bereits im 2. Jahrtausend v. Chr., vor allem in der mykenischen Zeit, traten in der Folge vielleicht zurück, um vom 8. Jahrhundert an wieder aufzuleben. Die Wege waren mannigfaltig: Griechen kamen nach Syrien und Ägypten; das westliche Kleinasien war Umschlagplatz ost-westlicher Beziehungen, aber auch Kreta und Euböa bildeten Brücken zum Osten. Böotien erhielt Kenntnis des Alphabets über Chalkis auf Euböa, wobei die Phöniker als Vermittler auftraten.

Es ist leicht zu denken, dass Vorstellungen des Ostens über die Entstehung der Welt auf die Griechen Eindruck machten, und vielleicht wirkt der Einfluß des Ostens bei Hesiod im Mythos von der ersten Frau und der Entstehung des Übels auf Erden (vgl. Eva).“ 29

In Zusammenhang mit den Datierungen geht es hier offenbar weniger um Fakten (die unbestritten sind), denn um deren Bewertung und den historischen Hintergrund, dass seit dem 19. Jahrhundert für die (im wesentlichen: nationale) Geschichtsschreibung das Alter einer Kultur wesentlich für deren Bedeutung war. Die zeitliche „Zurückstufung“ von Georgien – sei es durch Auslassungen, sei es durch widersprüchliche Handhabung von Kriterien – könnte daher durchaus als ein Akt der Interpretation, der doch etwas mit der Welt Baudolinos und dessen Vorläufer zu tun hat, verstanden werden. Ungeachtet dessen gibt es aber auch Veränderungen von Erkenntnissen durch neue Methoden (siehe 1. Abschnitt), aber auch durch neue methodologische Ansätze. Wichtigstes Moment für die Geschichte als Überlieferung durch Sprache ist in diesem Zusammenhang der Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit und die Tatsache, dass alle Veränderungen in der Sprachwelt bis zur Dokumentation von Sprache durch Schrift nicht nachweisbar sind.30 Und auch die Dokumentation der Sprache durch Schrift weist eine Vielzahl von Problemen auf.

2.3. Der Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit

Zunächst sei also einmal festgehalten, dass wir von der mündlichen Tradition erst durch die schriftliche Tradition wissen. Wie Naoji Kimura für die japanische Mythologie bemerkt, sind Mythen in „Erzählungen“ (Mythologien) überliefert.31 Und er stellt etwas fest, was für alle („alten“) Mythologien gelten dürfte: Sie sind Dokumente einer Macht – einer Rechtfertigung bzw. Apologie der Macht.32 Der Mythos wird daher nicht als Mythos überliefert, sondern indem sich AutorInnen mit Mythen auseinandersetzen, diese im Sinne ihres Weltbildes umgestalten. Das betrifft sowohl den Übergang von Naturphänomenen zu Göttern als auch die Namen der Götter sowie deren Taten. Es geht daher keineswegs nur um verschiedene Varianten der Überlieferungen, sondern um eine – bis in die neuere Zeit kaum einordenbare – Gestaltung im Sinne von AutorInnen und Ihrer Zeit bzw. Ihrer AuftraggeberInnen.33

Zu diesen Übergängen von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit existieren zu verschiedenen Prozessen der Vergangenheit und Gegenwart einschlägige Forschungen. Strukturell wichtig ist hier aber nur, dass diese Übergänge immer Veränderungen hervorrufen (auch wenn es sich nicht um die „Dokumentation“ von Mythen handelt). Die „Dokumentation“ ist also keinesfalls eine „Konservierung“, sondern das Ergebnis der „Dokumentation“ ist etwas Neues – im konkreten Fall auch die Entstehung zweier Mythologien aus wahrscheinlich dem selben Mythos.34

2.4. Der Amirani-Prometheus-Mythos

Dies trifft selbstverständlich auch auf die Tradierung des Amirani- bzw. des Prometheus-Mythos zu. Und gerade in diesem Mythos ist der Übergang einer Macht zur anderen Macht in radikalster Form dargestellt, womit eine spezifische Form auch der Darstellung bereits angesprochen ist – die Darstellung eines Mythos im Übergang von einem Machtkomplex zum nächsten.35

Weiters ist hier bereits die Frage zu stellen, ob es sich bei diesem Mythos um die Gestalt handelt, oder ob wir unter Mythos nicht etwas anderes verstehen sollten. Zunächst ist auf jeden Fall festzuhalten, dass es eine Vielfalt von „Erzählungen“ gibt, die in der Bestrafung eines Helden durch einen Gott gipfelten. Neben Prometheus und Amirani sind unter anderem im Kaukasus bekannt: Abersikl (Abchasien), Artawazd (Armenien) und andere.36

Schon bei Aischylos heißt es:

„Mit falschem Namen nennen Dich den Vordenkenden/ Die Götter. […]“ 37

Das könnte darauf verweisen, dass es sich hier um einen alten Gott handelt, der in einer neuen Mythologie einen neuen Namen erhält (und nicht nur ein neues Schicksal). Auf eine derartige Möglichkeit wird auch in der Sekundärliteratur verwiesen (freilich ohne Verweis auf die kaukasischen Traditionen).38

Es stellt sich aber zusätzlich die Frage, ob diese Personalisierungen nicht viel späteren Ursprungs sind und sie deshalb nicht als die eigentlichen Mythen-Elemente angesehen werden sollten. Vielmehr könnten die Personalisierungen erst in der Übergangsphase von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit erfolgt sein und bereits die Denkweise der Darsteller widerspiegeln, die Teil der Mythologie auch als einer Neuschöpfung der Mythen sind.

Wenn wir von der bereits zitierten These von Claude Lévi-Strauss 39 ausgehen, wären somit zunächst nicht die Entsprechungen der Figuren zu suchen, sondern vielmehr einzelne Elemente herauszufinden, die eventuell bedeutsam gewesen sein könnten. Andere Momente, die offensichtlich jüngeren Datums sind und eingefügt wurden, wären davon zu unterscheiden.40 Und es wäre nicht nur auf die Gemeinsamkeit und Unterschiede der verschiedenen Varianten einzugehen, sondern die Widersprüche sollten auch in dem Sinne verstanden werden, dass ihnen unterschiedliche Erzählstrategien zugrunde liegen, die sich im Laufe der Zeiten veränderten, überlagerten und nun in den heute bekannten Fassungen auch widersprechen 41, wobei bei der Bestimmung der Überlagerungen auch immer wieder auf den Kontext verwiesen werden kann.

2.5. Die Zerstörung des „heidnischen Kultur“ in Georgien

Im Vergleich mit der Aufzeichnung von Mythen gibt es immer wieder herausragende Unterschiede, die sich auf eine Vielzahl von Momenten kultureller Prozesse beziehen. So haben die Georgier im Gegensatz zu den Japanern und anderen Völkern Asiens, die ihre Schriftzeichen von China übernommen haben, ihre Schriftzeichen nicht von der griechischen Sprache entlehnt oder abgeleitet.42 Der georgischen Sprache liegt vielmehr eine der ältesten Schriftkulturen der Welt zugrunde. Im Gegensatz zum Griechischen konnte sich diese Schriftsprache aber nicht frei entwickeln, da Georgien seit Jahrtausenden ein Land war, das unterdrückt und dessen Kultur immer wieder zerstört wurde. Eine der wesentlichsten Einschnitte dürfte die Eroberung durch das Christentum mit sich gebracht haben, durch die eine Vielzahl von (schriftlichen) Quellen zerstört wurde (eine Politik, die das Christentum weltweit betrieben hat und im Kaukasus einen ihrer Höhepunkte fand).43

Dennoch hat sich das Christentum bis heute in Georgien ebenso wie in anderen Teilen der Welt nicht zur Gänze durchgesetzt. Wie auch in vielen anderen Ländern haben sich die „heidnischen Traditionen“ mit den christlichen Traditionen vermischt. Und auch im heutigen religiösen Leben Georgiens sind die alten „heidnischen“ Bräuche noch lebendig.44

Dies führte aber auch zu spezifischen Formen der Tradierung. Während die griechische Mythologie über rund 2.800 Jahr schriftlich und nahezu ungebrochen überliefert werden konnte, gibt es im Georgischen weitgehend eine mündliche Tradierung, womit die Veränderungen wesentlich schwerer bis gar nicht nachzuvollziehen sind und vor allem vieles von der Kenntnis der alten Götterwelt verloren ging, die zwar nicht für den Mythos, wohl aber für die Mythologie von Bedeutung gewesen wäre.45

2.6. Die unterschiedlichen Tradierungen

Wichtig für die Analyse der Amirani-Prometheus-Mythologien ist weiters, dass es im Gegensatz zu den griechischen Darstellungen von Prometheus keine nennenswerte literarische Darstellungen Amiranis gibt.46 Wie wir sehen werden, verändert sich zwar die Prometheus-Mythologie von Homer über Hesiod und Aischylos bis Ovid, aber der Stoff bleibt doch über viele Jahrhunderte erhalten und erfährt spätestens seit der Aufklärung eine große Renaissance und bleibt gerade durch die genannten Autoren über Jahrtausende präsent. Weiters ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass die Veränderungen der griechischen Mythologie nachvollzogen werden können, indem die unterschiedlichen Texte (und auch noch weitere) verglichen werden können. Wenn auch von den griechischen Texten nicht alle erhalten sind, die Übersetzungen recht unterschiedlich gestaltet wurden 47, so lassen sich doch zumindest seit Homer Strukturen nachvollziehen.

Anders stellt sich dies jedoch bei der Amirani-Mythologie dar, die ihre Rezeptionshöhepunkte im 19. und 20. Jahrhundert hat. George Charachidzé schreibt in diesem Zusammenhang auch von „le mythe de Prométhée et la geste d’Amirani“ 48, obwohl er über Hunderte Seiten den mythischen Charakter von Amirani und Prometheus untersucht. Wir wollen uns daher zunächst einmal diesen Überlieferungen (Mythologien) in ihren griechischen und kaukasischen Varianten zuwenden, um abschließend die unterschiedlichen Elemente wie potentielle Mythen bzw. Überlagerungselemente in Mythologien zu untersuchen.

2.7. Mündliche und schriftliche Traditionen

Ausgewählt werden hier nur einige Beispiele, um zu zeigen, wie der Stoff – von dem wir nicht einmal wissen, was er vor seiner schriftlichen Mythologisierung überhaupt umfasste (siehe Abschnitt 1) – in den ersten Jahrhunderten gestaltet wurde. Angedeutet wird hier nur, dass es eine Vielzahl von weiteren Mythologien gibt, auf die sich Amirani und Prometheus beziehen (könnten), wobei die Überlieferung der schriftlichen Literatur einen deutlichen Einschnitt im 5. Jahrhundert (der Christianisierung) aufweist 49:

2.7.1. Prometheus: Griechische und lateinischen Quellen

Bereits in den Epen von Homer (etwa 8. Jahrhundert v.u.Z.), dessen Quellen bis etwa ins 2. Jahrtausend vor u.Z. zurückreichen, wird Prometheus erwähnt.50 In der Theogonie von Hesiod (etwa 740 und 670 v.u.Z.) nimmt Prometheus eine zentrale Stellung ein 51. Aischylos (525 bis 456 v.u.Z.) widmet ihm eine Trilogie, die mit seiner Fesselung an einer Felswand „Der Erde äußerstes Geländ“ 52 beginnt, mit der Entfesselung fortgesetzt wird und ihren Höhepunkt in einem dritten Teil (mit Prometheus als Träger des Wissens?) ihren Höhepunkt gefunden haben könnte.53. In den Metamorphosen von Ovid (43 v.u.Z und etwa 17 n.u.Z.), die auch als „Enzyklopädie der Mythologie“ 54 angesehen wird, ist Prometheus als Schöpfer der Menschen dargestellt:

Und es entstand der Mensch, sei’s, dass ihn aus göttlichem Samen
Jener Meister erschuf, der Gestalter der besseren Weltform,
Sei’s dass die Erde, die jugendfrische, erst kürzlich vom hohen
Äther geschieden, die Samen, himmelsverwandten, bewahrte.
Denn sie mischte der Japetus Sohn mit dem Wasser des Regens,
Formte sie dann nach dem Bild der alles regierenden Götter.
Während die anderen Wesen gebückt zur Erde sich neigen,
Ließ er den Menschen das Haupt hochtragen: er sollte den Himmel
Sehen und aufgerichtet den Blick nach den Sternen erheben.
55

In der Fachliteratur heißt es zu den griechischen Quellen: „Es gibt verschiedene kleine Abweichungen; Hesiod beschreibt die Gegend nicht im einzelnen, und während andere Autoren den Kaukasus nennen, verlegen einige, darunter Aischylos, die Szene anderswohin; nach Aeschyl., frag. 193, 10 N² kam der Adler jeden zweiten Tag, nicht jeden Tag; es war ein Sprössling des Typhon und der Echidna (Perechyd. i. Schol. Zu Apoll. Rhod. II 1249) oder wurde besonders von Hephaistos angefertigt (Hygin., astron. II 15, der aber auch erzählt, daß er ein Kind der Ge und des Tartarros sei). Es ist zu bemerken, daß die ganze Erzählung Anzeichen für [eine] verhältnismäßig junge Entstehung aufweist. Die Bestrafung erinnert entfernt an diejenige verschiedener Riesen, die unter Bergen gefangen lagen; der für den Adler zum Zerreißen gewählte Teil ist die Leber, die man in der Antike für den Sitz der Leidenschaft hielt. Diese Einzelheit erinnert an die Strafe des Tityos, dessen Verbrechen die Begierde war. In der Tat behauptete der Historiker Duris von Samos (Schol. zu Apoll Rhod. AaO), daß Prometheus‘ Vergehen seine Leidenschaft für Athena gewesen sei.“ 56

Während in dieser Darstellung von „junger Entstehung“ gesprochen wird (wobei als Begründung die „entfernte“ Entsprechung zur Bestrafung von Riesen angeführt wird), schreibt Aischylos von 30.000 Jahren, die Prometheus angekettet war, also doch wesentlich vor der Entstehung der Epen Homers.57

Würde man von der Zeitangabe Aischylos‘ ausgehen, wäre die Hypothese, dass sich in der Ankettung die Eroberung Griechenlands vor ungefähr zweitausend Jahren vor u.Z. widerspiegelt, hinfällig.58 Aber auch wenn man diese Zeitangabe von 30.000 Jahren als Metapher nimmt, so wäre dies ein Hinweis auf das Alter des Mythos, der in diesem Falle sehr, sehr weit zurückreichen müsste (aber nicht seine konkrete Ausgestaltung in der Art der Ankettung und noch späteren Befreiung, die mit dem Zeitalter des Eisens bzw. der „Regentschaft“ von Zeus verbunden war, gewesen sein müßte).

Dies bestätigt aber andererseits auch teilweise die These, dass wir es bei dem „Prometheus-Mythos“ nicht mit einer geschlossenen Darstellung zu tun haben, sondern mit einer Vielzahl von Elementen, die auf unterschiedliche Weise aufeinander bezogen sind.59 Darauf wird in den Abschnitten 3. und 4. dieser Arbeit noch zurückzukommen sein.

Zu den Mythologien möchte ich hier auch noch einen Exkurs anfügen: Ovid schrieb über sein Werk „Metamorphosen“ als er ans Schwarze Meer verbannt war, Verszeilen, die an die lebendig Begrabenen 60 Amirani/Prometheus erinnern:

Wisse – zu freundlichem Urteil -: nicht sind sie ediert von dem Dichter,
Sondern entrissen dem Tod, als man ihn lebendig begrub!
61

Der wesentliche Unterschied aber war, dass Ovid seine Zeit am Schwarzen Meer verbüßte, während nach einigen Mythologien Amirani bzw. Prometheus unter gewaltigen Gebirgen begraben wurden – aber auch sie – wie Ovid – verstoßen von neuen Herrschern.

Prometheus ist bei Ovid auch eine positive Gestalt, von der nicht die Gefahr ausging, dass sie den Untergang der Welt herbeiführt, sondern die Teil des Schöpfungsaktes war (auch dies eine wesentlich Vordatierung im Vergleich mit sonstigen Darstellungen der Götterkämpfe).

2.7.2. Amirani: Hinweise und Texte

Die Überlieferung der Amirani-Texte wurde weitgehend im Buch „Prométhée ou le Caucase“ von George Charachidzé aus dem Jahre 1986 zusammengefaßt 62, wenngleich es etwas mühsam ist, den Prozess nachzuvollziehen, da die Bemerkungen zu den Nachrichten und Publikationen quer durch das Buch verstreut und nicht widerspruchsfrei sind, da im Schreibprozeß auch neue Erkenntnisse verarbeitet wurden. Ich werde daher versuchen, hier aufgrund seiner Ausführungen im genannten Buch eine Chronologie wiederzugeben, die etwa drei- bis viertausend Jahre vor u.Z. mit den ersten kulturellen Kontakten zwischen Georgiern und Griechen beginnt und von Charachidzé unter dem Gesichtspunkt des Amirani-Prometheus-Mythos diskutiert wird:

„Des faits cultureles du même ordre organisés en séries bien fourniers, les données linguistiques et les résultats des fouilles archéologiques engagent à tenir pour assurée la réalité d’une très vieille et longue cohabitation entre groupes caucasiques méridionaux et groupes d’origine indo-européenne. La comparaison interne au monde caucasien nous permet de situer ces contacts dans le temps: ils sont nécessairement antérieurs au IIe millénaire avant J.-C. Les archéologues géorgiens se veulent plus précis, et placent cette période de voisinage et de collaboration culturelle entre le fin du IVe et du IIIe millénaires.“ 63

An anderer Stelle geht Charachidzé vergleichend auf die Mythologien ein:

„En effet, la culture géorgienne archaïque n’a pas cherché à isoler et à analyser la fonction intellectuelle, comme l’ont fait par exemple les Scandinaves, les Ossètes ou les Grecs, avec ces mécanismes mentaux personnifiés que sont les couples Mimir/Loki, Satana/Syrdon, Mêtis/Prométhée. Ces distinctions et ces regroupements opérés par les Indo-Européens s’insèrent dans la vaste division de l’univers en trois secteurs complémentaires, régis et orientés respectivement par la souveraineté, la force et la fécondité, chacune de ces provinces cosmiques et sociales correspondant à un type et à un champ d’activité bien définis. En Géorgie deux domains, avec leurs modes d’action propres, suffisent à épuiser la variété des conduites humaines: religion et force combattante. Cette répartition n’est pas nouvelle: le témoignage de Strabon atteste qu’elle est vieille d’au moins deux millénaires, et elle conservait son actualité et sa vigueur au début de ce siècle, alors que survivait encore la société traditionelle arec ses conceptions fondamentales.“64

Aber diese zeitlichen Darstellungen sind nicht widerspruchsfrei. Zu den Kolonien schreibt Charachidzé (ohne Berücksichtigung von Homer und anderem):

„C’est, en effet, à partir du VIIe ou du milieu du VIe siècle avant J.-C. que la colonisation grecque se fait intensive et ininterrompue sur les rives orientales de la mer Noire, notamment en Colchide, qui correspond en gros à l’actuelle Géorgie occidentale, augmentée de l’Abkhazie et de la Svanétie. A cette époque, il s’agit moins d’une colonisation de peuplement que de l’établissement d‘emporia, de comptoirs commerciaux fixes, mais à l’écart des agglomérations autochtones: en somme, de véritables «factoreries» (comme en établiront quelque deux mille ans plus tard les marchandes tatares sur le littoral des principautés circassiennes). Les emporia se situent en dehors des cités proprement dites, comme l’attestent des fouilles archéologiques récentes, et il faut attendre l’époque hellénistique pour voir se mêler les demeures indigènes et coloniales, s’élaborer ces cultures mixtes si caractéristiques. Si donc les contacts réguliers et prolongés entre Grecs et Colques ne sont attestés qu’à partir du VIIe siècle dans des villes comme Phasis et Dioscurias, le mythe de Prométhée n’a pu être importé du Caucase, puisqu’il était déjà connu et diffusé en Grèce. Les poèmes hésiodiques sont génE9ralement datés du milieu (ou de la fin?) du VIIIe siècle […] 65

Nochmals kommt Charachidzé an anderer Stelle auf Strabon zurück, an der angibt, daß die „Legende“ im Kaukasus entstanden sein könnte:

„Toute une tradition grecque atteste que les habitants du Caucase connaissaient et tenaient pour leur un mythe similaire à celui du Prométhée grec. Plusieurs auteurs de l’Antiquité étaient même convaincus que la légende était née en territoire caucasien, tels Strabon, Flavius Arrien, Philostrate, etc.“ [Anm. bei Charachidzé: Strabon, Géographie, IV, 183; XI, 505; XV, 688 – H.A.] 66

Wie immer nun aber diese und andere Nachrichten vom Mythos bewertet werden, fest steht, daß die Rezeptionsgeschichte des Mythos und der Mythologie recht unterschiedlich verlaufen ist. Während die Quellen bzw. die Mythologie von Prometheus nur wenige Textstellen umfassen, entstehen seit der Aufklärung Tausende Seiten von Texten über Prometheus. Charachidzé: „Pour Amirani, c’est tout le contraire. Malgré son immense popularité, le héros enchaîné ne semble pas avoir inspiré les exégètes. Et les études qu’on lui consacrées restent, par leur petit nombre et leur volume généralement réduit, sans commune mesure avec sa renommée. On citera notamment les contributions d’un chapitre ou d’un article, dues à G. Dumézil, I Dzhavaxishvili, D.M. Lang. Ce n’est Qu’en 1947 que M. Tchikovani publie son Amirani enchaîne (Midzhaç’vuli Amirani), qui rassemble et analyse les composantes essentielles du dossier géorgien. L’auteur a repris et amplifié les travaux de 1947, à l’occasion d’une version russe remaniée, parue en 1966. Cette étude folklorique de grande envergure réunit vingthuit variantes importantes et aborde la plupart des problèmes que pose la compréhension de la geste géorgienne, y compris ceux qui engagent la comparaison avec la mythologie grecque. Ouvrage de référence, le livre de M. Tchikovani demeure un outil indispensable à quiconque désire se familiariser avec l’épopée d’Amirani: j’y ai souvent recours comme la suite le montrera, et il es probable que la présente enquête n’aurait pas été entreprise si n’avait existé cet inventaire très complet. Il faut y ajouter la belle étude que E. Virsaladze a consacrée à l’Epopée cynégétique des montagnards géorgien et à ses liens avec la geste d’Amirani.“ 67

Sowohl Tschikowani 68 als auch Charachidzé 69 verweisen auf rund 150 bzw. 200 Varianten, von denen Charachidzé in seinem Anhang 48 in Konkordanz zu Tschikowani und anderen Ausgaben aufweist. 70 Zu Momenten der oralen Überlieferung (vor allem im Zusammenhang mit dem Feuer) schreibt Charachidzé:

„La bonne foi des conteurs n’est pas mise en doute, mais seulement la qualité et l’ancienneté de la source leur imposant cette conviction. Il est à caindre que celle-ci ne provienne des questionneurs du passé, trop enclins à susciter la réponse espérée. D’autant plus que les érudits de la fin du XVIIIe et du XIXe siècle étaint ceux-là mêmes qui découvraient, traduisaient, et diffusaient la mythologie antique ressuscitée, avec un enthousiasme louable, mais inquiE9tant pour la science folklorique. On peut penser que certains d’entre eux ont involontairement suggéré à des conteurs populaires l’idée que le héros enchaîne avait dérobé le feu céleste. A partir de cette innocente ingérence, la conviction a dù être diffusée et entrer dans la tradition orale.“ 71

Damit verweist er auf die allgemeine Problematik des Übergangs von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit, die sich auch im Zusammenhang mit den Sammlungen in anderen Europäischen Ländern ergaben. In Deutsch sind entweder nur Kurzfassungen vorhanden, deren Auswahl nicht ohne Tendenz ist 72, bzw. dann aus dem Jahre 1978 eine umfangreiche Ausgabe mit 179 Seiten und einem langen Nachwort von Tschikowani mit dem Titel „Das Buch vom Helden Amirani. Ein altgeorgischer Sagenkreis“.73 Es ist ein Versuch eines Experten, der sich über Jahrzehnte mit dem Gegenstand beschäftigt hat, die vielen Varianten zusammenzufügen, ohne sich jene schriftstellerischen Freiheiten der Gestaltung zu nehmen, die offensichtlich seit rund 2.700 Jahren den Stoff des Prometheus populär gemacht haben. Trotzdem verbleibt die Zusammenstellung nicht unproblematisch, da die (ausgewiesene) Bearbeitung als solche nicht nachvollziehbar ist. Auf jeden Fall ist „Das Buch vom Helden Amirani“ eine Neuschöpfung und eher an der Erzählweise des Mittelalters orientiert, denn eine kritische Ausgabe (zumindest in Hinsicht auf die Erzählstruktur von Mythologien). 74

2.8. Beispiele: „Entlehnungen“ der Griechen

Prometheus ist nicht das einzige Beispiel der Darstellung des Kaukasus bzw. Georgiens in der Literatur der Griechen. Im Stück „Der gefesselte Prometheus“ von Aischylos kommt auch Io vor, die vor Hera flüchten muß.75 Ganz prominent – und ebenfalls über die Jahrhunderte erhalten – sind aber die Argonauten, das Goldene Vlies, Medea.

Hingewiesen sei darauf, dass nicht nur mit der griechischen Medea, sondern auch in Amirani-Überlieferungen 76 eine Frauengestalt erhalten blieb, die sich gegen die eigene Familie wandte. Aber auch die Frauenfeindlichkeit in einer Reihe von griechischen und georgischen Texten deuten auf den Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat hin.77

Neben diesem Übergang, der ebenfalls vor allem im 19. Jahrhundert wiederentdeckt wird, dem umfangreiche wissenschaftliche Arbeiten gewidmet werden, aber auch Stücke wie die Libussa von Franz Grillparzer (der sich überhaupt mit dieser Zeit sehr intensiv auseinandergesetzt hat), sind auch die anderen Themen (Gold, Macht, Magie usw.) dem „Rand der Welt“ gewidmet – mit Medea, den Argonauten, dem Goldenen Vlies aber deutlich erkennbar aus der Zeit der „Kolonialisierung“ von Kolchis, einem wesentlichen Teil des heutigen Georgiens.

Obwohl zum Teil ähnliche Themen verwendet werden, sind die literarischen Texte doch profaner (trotz aller zentraler nicht-profaner/phantastischer Elemente). Der Raub des Goldenen Vlies könnte wie eine Metapher auf den Umgang der Mächtigen mit den Schätzen der Welt gelesen werden – und den Folgen die dies zeitigt.

2.9. Stichworte: Rezeption des Amirani/Prometheus-Mythos

Wie sich aus diesen Andeutungen ergibt, braucht die Amirani-Prometheus-Mythologie daher nicht für sich gelesen zu werden, sondern diese Lektüre sollte vielmehr im Kontext der Analyse von Herausbildungen neuer komplexer Weltanschauungen als Prozesse vor sich gehen. Die Betonung der Prozeßhaftigkeit ist in diesem Kontext deshalb wichtig, weil sich nicht ein Mythos an sich durchsetzt, sondern in der bisherigen Mythen-Rezeption (nicht: Stoffrezeption in der literarischen Tradition) die Kernelemente unklar bleiben und sich wandeln. Auch haben wir gesehen, dass die Trägerelemente nicht gleich sind, sondern im einen Fall die Literatur zur Öffentlichkeit verhilft, im anderen Fall die Wissenschaft zur Tradierung.

Die Amirani-Mythologie wurde zum Beispiel bisher vorwiegend von der Wissenschaft rezipiert (s. auch Anmerkung 74). Ihre Basis sind die mündlichen Überlieferungen im Kaukasus. Amirani, Aberskil, Artawazd usw., aber auch andere Mythologien, die mit ihnen in Verbindung stehen, kommen in einschlägigen Nachschlagewerken und Dokumentationen vor. Charachidzé betont immer wieder den Auseinanderfall der Berühmtheit (sprich: Volksüberlieferung) und den Nicht-Eingang in die Schriftkultur bzw. die literarische Tradition. Das gilt bis heute und die durch die Tradierung bedingten Zuordnungen dürften für eine breitere Auseinandersetzung kaum hilfreich sein. Es kommen in der Region um den Kasbegi, an den Amirani/Prometheus nach verschiedenen Varianten ankettet worden sein soll (in einer der Varianten: am Drachenfelsen), keinerlei Hinweise vor. Aber auch in vielen scheinbar einschlägigen Nachschlagewerken fehlt die Verbindung, ebenso wie der Hinweis auf die Eroberungen und die alten Kulturen und deren Götter fehlen.

Dagegen ist die Prometheus-Rezeption von Anfang an mit zentralen Werken der Griechen verbunden. Aber auch in der späteren Zeit – vor allem mit der Aufklärung – ist die Prometheus-Rezeption mit großen Namen verbunden: Goethe, Beethoven, André Gide, Franz Fühmann, Walter Grond, Gorki, Makarenko, Hermann Bahr, René Char, Carl Orff, Sigmund Freud, E.T.A. Hoffmann, Alexander Skrjabin, Volker Braun, Heiner Müller und mit vielen anderen.

In diesem Kontext zeichnen sich zwei grundsätzlich unterschiedliche Rezeptionslinien ab – bei allen Entsprechungen, die herausgearbeitet wurden. Amirani ist der Held einer „heidnischen“ Kultur, die bis heute im Kaukasus eine große Lebendigkeit hat 78, aber Amirani gehört weder zu den staatstragenden Gestalten, die auch heute noch die Plätze in Georgien prägen, noch ist er – als Sinnbild vor allem auch roher Kraft – eine Leitfigur für Künste und Wissenschaften geworden, sondern bloß ein Gegenstand der Rezeption.

Das unterscheidet ihn in der Rezeption grundsätzlich von Prometheus, in dessen Rezeption bis Ovid mehr und mehr das Schöpferische in den Vordergrund trat und seitdem den Hauptaspekt bildet. Und diese Art der Prometheus-Rezeption – die Auseinandersetzung mit der Position des Intellektuellen – prägt auch die Rezeption in Europa seit der Aufklärung. Amirani hingegen harrt noch seiner Entdeckung, wobei die Herausgabe einer kritischen Überlieferung nicht nur in georgischer, sondern auch anderer europäischer Sprachen wahrscheinlich hilfreich wäre und die Dimensionen der Mythologie deutlich machen können, in der sich Mündliches offensichtlich über einen sehr langen Zeitraum tradiert hat.

2.10. Exkurs: Heutige Interpretationen „griechischer“ Kultur

Heutige Interpretationen der griechischen Kultur, ihrer Entstehung und Entfaltung gehen durchaus auch von dem aus, was bei Charachidzé zu finden ist: die griechische Kultur als eine „Mischkultur“, der Reichtum einer Kultur, der sich dadurch entwickelt, dass sie zu integrieren versteht. Thesen, die von prominenten Forschern wie Martin Bernal79 vertreten und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Längst sind nicht nur die asiatischen, sondern auch die afrikanischen Bezüge entdeckt worden80, die es zudem auch sowohl in der Prometheus – als auch in der Amirani-Mythologie für die mythologische Zeit gibt.81

Diese breitere Perspektive, das Interesse an den tatsächlichen Kulturprozessen, die sich in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr und mehr auch institutionell von der Machtlegitimation der Wissenschaften in Europa ablösten, eröffnet nun einen ganz anderen Blick, dem in Zeitbestimmung, Archäologie, Interpretation seit den letzten Jahrzehnten auch völlig neue Instrumente zur Verfügung stehen. Die Bahn ist nun gebrochen. Ein neues weites Forschungsfeld eröffnet sich, das auch die regionalen Leistungen in ihren komplexen (überregionalen) Wirkungen sichtbarer machen kann.

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3. Mythos als Fragment

Wenn wir von Claude Lévi-Strauss ausgehen 82, dann wird es nun darauf ankommen, mythische Elemente zu benennen. Für den Rückbezug auf Afrika, wie er in der heutigen Forschungsliteratur immer wieder verwendet wird, wird es dabei nicht ausreichen, Tiere und Landschaften zu benennen. Tatsächlich lassen sich diese Bezüge auch leicht ausfindig machen. Aber ihre Einbeziehung zur Bestimmung der Mythen ist ebenso problematisch wie die von Göttern, da sie durchaus auch jüngeren Datums sein können. Dagegen gibt es einige Elemente, die für die Mythen-Bildung weltweit mehr oder weniger von Bedeutung sind: Feuer, Wasser, Berge, auf die ich mich hier beschränke.

3.1. Feuer

Die Verbindung der Prometheus-Mythologie zum Feuer ist eindeutig. Es lassen sich hier jedoch verschiedene Überlagerungen finden – zum Beispiel das Feuer des „Goldenen Zeitalters“ und das Feuer des „Eisernen Zeitalters“. Der Konflikt bricht in den meisten Fassungen mit dem „Eisernen Zeitalter“ auf. 83

Bei den Amirani-Mythologien spielt jedoch nicht in jedem Fall das Feuer eine Rolle. Die Unterschiede zwischen Amirani und Prometheus hat Charachidzé in diesem Kontext umfangreich dargelegt.84 Und im „Buch vom Helden Amirani“ kommt nur die Variante aus dem „Eisernen Zeitalter“ vor. 85

3.2. Wasser

Dagegen spielt bei Amirani das Wasser eine zentrale Rolle (hingegen nicht bei Prometheus). Wie Charachidzé zeigt, sind dies aber durchaus mögliche Entsprechungen.86

3.3. Berge

In beiden Mythologien wird der Unterworfene entweder an einen Felsen geschmiedet oder überhaupt auch vom Berg bedeckt. Der Ort ist nicht immer ident. Unter anderem kommen als Orte der Bestrafung vor: der Mquinvari (Kasbegi)87, der Elbrus oder auch einfach der Kaukasus, dem beide Berge angehören. Wichtig ist, dass in jedem Fall der Berg am oder als Rand der Welt eine zentrale Rolle spielt.88

3.4. Andere potentielle Elemente

Eventuell ließen sich auch andere potentielle Elemente ausfindig machen: der Kampf der Geschlechter, Tiere usw. Wichtig ist aber in diesem Aufsatz nicht, die einzelnen Elemente bereits auszuarbeiten, sondern Anstoß für einen transnationalen und transdisziplinären Diskurs zu geben und dabei einige mögliche Felder abzustecken.89

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4. Die Überlagerungen

Bei Charachidzé wird immer wieder auf die Widersprüche innerhalb der Amirani-Prometheus-Mythologie hingewiesen.90 Um zu zeigen, welche Bedeutung die Unterscheidung zwischen Mythen und Mythologien hat, werde ich versuchen, hier kurz einige Themenkreise anzudeuten.

4.1. Die alten Mächte

Gemeinsam ist der Amirani- und Prometheus-Mythologie weitgehend, dass alte Mächte brutal gestürzt werden. Es lassen sich seit dem 8. Jahrhundert v.u.Z. dann auch deutliche Verschiebungen ausmachen. Anders formuliert: deutlich werden durch die Analyse der Rezeptionsgeschichte auch Verfahren der Veränderungen. So wird das Schicksal von Kronos zum drohenden Schicksal von Zeus. Auch Namensverschiebungen lassen sich feststellen. Zum Beispiel von Zeus zu Jupiter. Wichtig ist aber, dass Amirani bis heute nicht befreit wurde, während Prometheus von Herakles (unter Zustimmung des Zeus) entfesselt wurde.91 Die Entfesselung wurde als Übergang von der nackten Gewalt zu einer Herrschaft in Verbindung von Macht und Recht gewertet.92 Überhaupt wurden in der griechischen Mythologie schon früh alte Götter von Zeus mit Herrschaftsbereichen betraut.93 In der Amirani-Mythologie entstand aber die Polarität Christus-Amirani. Und Christus weist nun im Kaukasus die Züge des diktatorischen Zeus auf.94

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Charakterisierung von Amiranis, Prometheus – und selbst dem Hund von Amirani. Wie im Roman „Der Namen der Rose“95 von Umberto Eco die Anrufung des Anti-Christen mit den Morden einhergeht, so geht der Bestrafung von Amirani bzw. Prometheus ihre Dämonisierung voran. Sie werden als potentielle Zerstörer der Welt dargestellt, als Ausbund der Gewalt, den es zu bändigen gilt.96

Somit stellen diese Mythologien auch erste Dokumente der Konstruktion von Feindbildern dar und zeigen, wozu sie gebraucht werden: zur Gefangennahme und Folterung des Gegners. Aber im Gegensatz zu heutigen Mächten waren sich die Mythologien bewusst, dass auf diese Weise ein Gegner nicht zu vernichten ist. Sowohl Amirani als auch Prometheus sind unsterblich. Es können Ihnen unvergängliche Qualen zugefügt werden, aber es ist nicht möglich sie zu vernichten. Erst der Ausgleich zwischen Zeus und Prometheus macht den Weg zur Sicherung der Macht von Zeus frei.

4.2. Die Gewalt der Frauen

Sowohl bei Medea, die Jason, als auch bei Qamari, die Amirani liebt, ist auffällig: die Geliebten kommen aus fernen Ländern und die Frauen verhelfen ihren Geliebten zum Sieg (im Falle von Amirani: der Tötung ihres Vaters, was Amirani nicht vermocht hätte, wenn Qamari ihm nicht das Geheimnis verraten hätten, wie dies zu geschehen hat97). Spielt in der Medea-Mythologie der Schatz eine wesentliche Rolle, so ist es in der Amirani-Mythologie die Geliebte selbst. Qamari ist es auch, die Amirani nach der Schlacht, die mit dem Tod seiner beiden Brüder und seinem Selbstmord endet, wieder zum Leben erweckt.

Auch bei der Motivierung gibt es Unterschiede: von Qamari wird gesagt, dass sie von ihren Eltern schlecht behandelt worden sei, bei Medea steht jedoch die Liebe zu Jason im Mittelpunkt. Beides sind aber individuelle Motive und entsprechen keineswegs der Struktur der Mythologien. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie die Abkehr vom Matriarchat zum Patriarchat mit anderen Auseinandersetzungen im „Zeitalter des Eisens“ überlagerte.

4.3. Drachen und andere Monster

Amirani hat Kämpfe mit Drachen und anderen Monstern zu bestehen. Von Katérina Stenou wurde gezeigt 98, wie Feinde sich in derartige Monster verwandeln. Und die Darstellung enthält ganz offensichtlich vielfältige symbolische Elemente. Zugleich könnte dies aber auch ein Rückverweis auf alte Erfahrungen der Menschheit sein, die als Mythen überliefert wurden und die (wahrscheinlich auch nicht nur einmal) in der Überlieferung transformiert wurden.99

4.4. Das Eisen (Ovid)

Charachidzé hat das widersprüchliche Verhältnis von Amirani zu den Schmieden herausgearbeitet.100 Aber auch in der Prometheus-Mythologie gibt es unterschiedliche Varianten das Verhältnis von Prometheus zum Schmid Hephaistos betreffend. Verschiedene Elemente dieser Mythologien klingen in Ovids Metamorphosen an:

„[…] Das letzte Geschlecht ist von Hartem
Eisen. Da brachen sogleich in die Zeit des geringern Metalles
Jegliche Frevel; es flohen die Scham, die Wahrheit, die Treue.
Dafür erwuchsen die Laster: Betrug und allerlei Ränke,
Hinterlist und Gewalt und die frevle Begier nach Besitztum.
Segel bot man den Winden – noch kannte der Schiffer sie wenig -,
Und die Kiele, die lang in den hohen Gebirgen gestanden,
Munter tanzten sie jetzt auf unbekannten Gewässern;
Und der Boden, der früher Gemeingut war wie die Lüfte,
Und wie das Licht, jetzt ward er genau mit Grenzen bezeichnet.
Nicht nur Saaten verlanget der Mensch vom üppigen Boden,
Nahrung, die zu gewähren der schuldete, nein, in der Erde
Tiefen drang man, die Schätze zu graben, Lockmittel des Bösen,
Die sie im Innern verwahrte, zunächst bei den stygischen Schatten.
Schon ist das schädliche Eisen erschienen und schlimmer als Eisen,
Gold; nun erscheint auch der Krieg […]“ 101

Es geht es also auch in diesem Kontext nicht um ein individuelles Verhältnis, sondern mit den Schmieden erscheint das „Eherne Zeitalter“, die Schmiede sind ihr Symbol. Die Widersprüche in der Amirani-Mythologie 102 ergeben sich offensichtlich daraus, dass die Schmiede erst später dazu kommen – ebenso wie Christus. Die Schmiede verweisen aber auch auf die Zeit der Kolonisierung von Kolchis, die mit dieser „Eisernen Zeit“ zusammenfällt 103, mit der auch die „kleine Globalisierung“ beginnt. Und wiederum – wie dann im 15. Jahrhundert – sind es die Schiffe, die eine zentrale Rolle spielen.

4.5. Das „Goldene Zeitalter“ der Bergbewohner

Amirani, denunziert als Ausbund des Ehernen Zeitalters, ist aber zugleich auch die zentrale Hoffnungsgestalt des „Goldenen Zeitalters“ der Bergbewohner. Wird einerseits in vielen Varianten festgehalten, dass bei seiner Befreiung die Vernichtung folgen würde, so haben zum Beispiel die georgischen Bergbewohner eine ganz andere Perspektive. Mit der Befreiung Amiranis würde das „Goldene Zeitalter“ anbrechen.104

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5. Der Rand der Welt

Zu einem großen Teil hat sich dieser Beitrag nun bei der Sammlung von Indizien zur Annäherung an Mythen und Mythologien in der Welt der Sprache bewegt, wenngleich auch auf archäologische Funde und anderes verwiesen wurde. Aus der Welt der Sprache stammt auch der Begriff „Der Rand der Welt“ oder „Das Ende der Welt“. Mit scheint gerade im Zusammenhang mit dem europäischen Bewusstsein sehr wichtig zu sein, dieses Sprachelement noch näher zu untersuchen.

5.1. Theodor Kramer: Rand der Welt

Am 24.8.1949 schrieb Theodor Kramer, der sich zu dieser Zeit immer noch im Exil in England befand, ein Gedicht mit dem Titel „Schlaflied vom Rand der Welt“ 105, das folgende Zeilen enthält:

Der Rand der Welt ist immer da,
ist weit hinter Afrika,
ist ferner, als die Sterne glühn,
und doch ist, wo die Malven blühn
schon auch der Rand der Welt.

Auch in diesem Gedicht ist der Begriff „Rand der Welt“ mit Schrecknissen behaftet:

Gleich hier im Uhrgehäus‘, da tickt,
im See, in den der Fischer blickt,
im Kummer, der den Vater frisst,
ganz anderswo für jeden ist,
mein Kind, der Rand der Welt.

Dieses Motiv wird später von Wenzel mit „Lied am Rand“ aufgegriffen.106 Es zeigt sehr deutlich die Verschiebung, bei der nicht mehr die große Distanz, die schreckenserregenden Dimensionen der Bergwelt im Mittelpunkt stehen, sondern das individuelle Schicksal.

5.2. Das Fragment im Zentrum

Das entspricht durchaus der Tendenz, nicht mehr auf die „großen Erzählungen“ zu achten, sondern mehr und mehr das Individuum in den Mittelpunkt zu rücken.107 In diesem Kontext der Veränderungen bekommt auch das Fragment108 seine Bedeutung. Und mit einer Vielzahl unterschiedlichster Fragmente haben wir es zu tun, wenn wir uns auf Amirani, Prometheus und all die anderen Gestalten einlassen. Je mehr sie individuelle Züge zeigen, wie zum Beispiel die Prometheus-Gestalten der neueren Zeit, desto größer auch ihre Öffentlichkeit, ihre intellektuelle Wirksamkeit. Denn auch wenn Amirani eine Popularität durch Wissenschaft und Künste, wie Siegfried – eine zentrale Gestalt aus der deutschen Mythologie – bekommen würde109, so würde sich daran doch nicht wie bei Prometheus der schwierige Prozeß der Gewinnung eines Weltverständnisses widerspiegeln (vor allem in einer Fassung, in der aus einer Mythologie eine Art Heldenepos wurde). Es müssten also die ursprünglichen Elemente herausgearbeitet werden.

5.3. Vergangenheit als Gegenwart

Wie wir gesehen haben, dienen die Mythologien seit Jahrtausenden der Machtlegitimation und arbeiten mit verwerflichen Mitteln (wie zum Beispiel der Instrumentalisierung der Vergangenheit als Schrecken zur Glorifizierung der Gegenwart). Die Konsequenz ist die Verwerfung der Kenntnis früherer Zeiten, sofern sie nicht als neue eigene Erkenntnisse umgedeutet wurden. In der Gegenwart aber spielt dieser schwarze Spiegel (Heiner Müller) eine immer geringere Rolle. Selbst die Bedeutung der Kenntnisse der Steinzeit wird entdeckt.110 Die Vergangenheit als Gegenwart muß daher nicht von vornherein die Kontinuität des Konflikts bedeuten. Der Konflikt kann „aufgelöst“ werden. Die „Zivilisierung“ hat eine Chance. Der entfesselte Prometheus ist ihr Symbol.

5.4. Die Weisheit der Lüge111

Wie sich zeigt sind die Mythologien „gelogenen Mythen“. Sie sind die Dokumente der Sieger, die aber – ebenso wie das Pergamonfries112 – die Geschichte der Unterdrückung beinhalten und ebenso die Folgen der Unterdrückung. Wie könnte eindrücklicher das Leiden der Besiegten geschildert werden, als in diesen Mythologien von Amirani und Prometheus?

Daraus ergibt sich die Weisheit der Lüge und die Mahnung: die Macht kann siegen, braucht aber die Rechtfertigung und in der Rechtfertigung ist die Schuld enthalten. Nicht die Sicherung der Tradierung der Geschichte der Macht verbleibt, sondern es zeigen sich an den vielfältigen kaukasischen Varianten, dass die Erlösung des „Verbrechers“ mit dem „Goldenen Zeitalter“ verbunden wurde. Aus der „Weisheit der Lüge“ ergibt sich das Verbrechen des Siegers.

5.5. Neues und Altes

Von Charakidzé wird ein differenziertes Bild von Georgien bzw. vom Kaukasus entworfen. Seine Darstellungen zeigen nicht zuletzt, dass zentrale europäische Vorstellungen auf den „Rand der Welt“ zurückgehen. Und es zeigt sich bis in die Gegenwart, dass die scheinbar abstrakte Welt der Griechen einen realen Ort hat.113

Weiters stellt sich die Frage, ob die Erweiterung der Europäischen Union mit neuen Lügen verbunden sein soll und muß oder ob nicht gerade diese Union mit ihren starken Potentialitäten zur Integration und Transformation der Hinwendung zur kulturellen Realität bedarf und auch durchaus in der Lage ist, dies zu ermöglichen. Nicht nur die Auseinandersetzung mit Georgien könnte dabei von großer Bedeutung sein. Wie es im zitierten Gedicht von Theodor Kramer heißt: „Der Rand der Welt ist immer da“. An der Art der Berücksichtigung dieses Randes wird sich aber erst der eigentliche (kulturelle) Reichtum oder die Armut zeigen.

5.6 Die Öffentlichkeit

Die hier behandelten Fragen beziehen sich auf Diskussionen, die – besonders in den Detailaspekten – von einer breiteren Öffentlichkeit im „Westen“ bisher kaum wahrgenommen wurden. Das „Goldene Vlies“ und die Argonauten sind (auch durch Hollywood-Filme) bekannt und werden der „griechischen Welt“ zugeordnet. Vereinzelt hat sich Amirani in Reise-Führer verirrt 114, aber meist scheint er nicht einmal in einschlägigen Lexika zur Mythologie auf.115

Wenn ein Aspekt dieses Beitrages daher der Kaukasus im europäische Bewusstsein ist, so ist festzuhalten, dass der Kaukasus zwar zum Teil aus verschiedensten Gründen eine bedeutende Rolle spielt 116, aber seine Mythologie, seine Kultur, seine Menschen bisher sowohl in der Wissenschaft als auch vor allem in der Öffentlichkeit kaum oder nur in Klischees wahrgenommen werden. Das beginnt mit der Zuordnung zu Asien (obwohl Georgien Mitglied des Europarates ist), setzt sich mit der Wahrnehmung als griechische Kolonie bzw. später als „Russland“ fort und äußert sich vor allem auch darin, dass wesentliche kulturelle Leistungen anderen Ländern (hier: Griechenland) zugeordnet werden. Gerade in dieser Hinsicht bleibt „Amirani“ an den Kaukasus gefesselt – als (virtuelles) Mahnmal für die Entrechtung einer anderen Kultur, das auch metaphorisch eine globale Bedeutung hat.

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KURZBIOGRAPHIE

Arlt, Herbert: Wiss.Dir.Dr., 1958 geboren in Bregenz; Promotion an der Universität Salzburg 1988; Unterricht an den Universitäten in Berlin, Wien, Salzburg und Innsbruck; Geschäftsführer der Jura Soyfer Gesellschaft seit 1989, Wissenschaftlicher Direktor des INST seit 1994 und u.a. seit 1995 Herausgeber der Buchreihen „Österreichische und internationale Literaturprozesse“ sowie „Ost-, Mittel- und Südosteuropäische Literatur-, Theater- und Sprachwissenschaft“ im Röhrig Universitätsverlag, der Zeitschrift „Jura Soyfer“ (http://www.soyfer.at/zs/index.htm) seit 1992 sowie der Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften, TRANS (www.inst.at/trans/) seit 1997. 1998 bis zu deren Auflösung 2001 Mitglied der österreichischen UNESCO-Kommission. Mitglied des Verbandes Bulgarischer Wissenschafter. Rund 200 Publikationen zur österreichischen Literatur und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen. Auswahlbibliographie im WWW: http://www.inst.at/gremien/arlt.htm


ANMERKUNGEN

(1) Umberto Eco: Baudolino. Carl Hanser Verlag: München, Wien 2001. Vgl. dazu die Karte auf S. 376 oder Kapitel wie „Baudolino in der Finsternis von Abkasia“. Dort auf Seite 394: „‚Wir sind bereits in einem Land voller Monster‘, sagte sehr zufrieden der Poet [als sie einem Basilisken begegneten – H.A.]. ‚Das Reich kann nicht mehr weit sein.'“ Vgl. auch: Penka Angelova: „Die Konstruierbarkeit der Welt. Reflexionen über Umberto Eco, Hermann Hesse und die konstruktiven Ansätze der Jahrtausendwende.“ In: Herbert Arlt/Donald G. Daviau/Gertrude Durusoy/Andrea Rosenauer (Hrsg.): TRANS. Dokumentation eines kulturwissenschaftlichen Polylogversuchs im WWW (1997-2002).Röhrig Universitätsverlag: St. Ingbert 2002.

(2) Vgl: Silvia Tschopp: Mythen und Realität – was verbindet uns? In: „Jura Soyfer. Internationale Zeitschrift für Kulturwissenschaften“. 11.Jg., Nr. 1/2002,S.14-16 sowie den Abschnitt zum Thema im Rahmen der Podiumsdiskussion S.18ff.

(3) Vgl. die Ausführungen zur Bedeutung der Kultur in Europa von den Abgeordneten zum Europäischen Parlament Christa Prets und Mercedes Echerer in: „Jura Soyfer. Internationale Zeitschrift für Kulturwissenschaften“. 11.Jg., Nr. 4/2002.

(4) Für Hinweise zur Literatur über Amirani in Georgisch danke ich Irakli Jurguladse (Tbilissi). Er verwies unter anderem auf Ivane Dschawachischwili („Parallelen zwischen Amiran und Prometheus“, Aufsätze in drei Bänden, Bd.I, Tbilissi 19769, S.188-204), W. Kotetischwili („Volksdichtung“, Tbilissi 1961, S.295), Tschikowani („Der gefesselte Amiran“, Tbilissi 1947 [Forschungen und Texte], „Grundfragen der griechischen und georgischen Mythologie“, Tbilissi 1971), Wirsaladze („Georgisches Jägerepos“, Tbilissi 1964; ein Aspekt der auch bei Charachidzé eingehend aufgegriffen wird), J. Surguladze („Symbolik der georgischen Volksornamentik“, Tbilissi 1993, S.175) und Sch. Chidascheli, „Graphische Kunst in der Früheisenära des Mittelkaukasus“, Tbilissi 1982, S.67-79 (dazu: „Die ältesten Varianten des Amiransujets sieht Sch. Chidascheli in den Kulturbronzegürteln der Malerei. Diese Denkmäler gehören zu der Spätbronze- und Früheisenära [IX-VII Jh. v.u.Z.] sowie auf Charachidzé. Weiters danke ich Elisabeth Campagner (Wien) für ihre Hinweise zu Amiran vom April 2003 zu http://store.yahoo.com/hlsl/amiran.html [„Amiran is a variant form of Amiron, which is a combination of three Hebrew elements.“]. Darunter über die Parallelen zwischen Prometheus und Adam: „Gemeinsam ist ihnen, dass sie Feuer stehlen. Adam soll Feuer und Licht vom Himmel gestohlen haben. […] Die Motivkreise Feuerraub – Bestrafung – Erlösung gelten für Beide.“ Und: „amira“ ist die Erzählung und „amiran“ wäre somit ein Erzähler.“ Keine Hinweise fand sie jedoch in mythologischen Lexika. Weiters konnten wichtige Beobachtungen auch im Rahmen der INST-Expedition vom 28.7. bis 5.8.2003 (Besteigung des Kasbegi/Kasbek/Mkinvari/Mkinvartsveri) gesammelt werden. Die Expedition im WWW: http://www.inst.at/kuse/kasbegi.htm

(5) Homer: Ilias/Odyssee. Übersetzt von Johann Heinrich Voss. Artemis&Winkler: München u.a. 1995.

(6) Hesiod: Theogonie. Reclam: Stuttgart 1999.

(7) Aischylos: Der gefesselte Prometheus. Reclam: Stuttgart 1966.

(8) Michail Tschikowani, der sich seit den 40er Jahren intensiv mit dem Stoff beschäftigt hat, spricht von ersten schriftlichen Überlieferungen aus dem 6. Jh. u.Z. (s. auch den Abschnitt 2.7.2.). Georges Charachidzé, dessen Lehrer George Dumézil und Claude Lévi-Strauss waren, geht von einem sehr alten Mythos aus, der die Grundlage für die Ausprägung unterschiedlicher Mythologien der Georgier, Griechen, Armenier, Osseten und anderer Bevölkerungen des Kaukasus bildeten.

(9) Vgl. den Abschnitt 2 in diesem Aufsatz.

(10) Vgl.: Herbert J. Rose: Griechische Mythologie. Verlag C.H. Beck: München 2003, S. 12 („Kurze Bemerkungen zu den Quellen“).

(11) Am bedeutendsten in unserem Kontext: Umberto Eco: Die Suche nach der vollkommenen Sprache. Deutscher Taschenbuch Verlag: München 2002.

(12) „This topic [„When Myth becomes History“ – H.A.] presents two problems for the mythologist. One is a theoretical problem of great importance because, when we look at the published material both in North and South America and elsewhere in the world, it appears that the mythic materials is of two different kinds. Sometimes, anthropologists have collected myths which look more or less like shreds and patches, if I may say so; disconnected stories are put one after the other without any clear relationship between them. In other instance, as in the Vaupés area of Colombia we have very coherent mythological stories, all divided into chapters following each other in a quite logical order.And then we have the question: what does a collection mean? It could mean two different things. It could mean, for instance, that the coherent order, like a kind of saga, is the primitive condition, and that whenever we find myths as disconnected elements, this is the result of a process of deterioration and disorganization; we can only find scattered elements of what was, earlier, a meaningful whole. Or we could hypothesize that the disconnected state was the archaic one, and that the myths were put together in an order by native wise men and philosophers who do not exist everywhere, but only in some societies of a given type. We have exactly the same problem, for instance, with the Bible, because it seems that its raw material was disconnected elements and that learned philosophers put them together in order to make a continuous story.“ Claude Lévi-Strauss: Myth and Meaning. Routledge Classics: London and New York 2001.

(13) Die Gemeinsamkeit der Kulturen lässt sich ausgezeichnet anhand der Struktur der Museen zur „Frühgeschichte“ (Geschichte ohne Schrift) studieren. Auch wenn es Modifikationen im Material, der Gestalt usw. geben mag, die Zeugnisse sind doch die selben und verweisen auf eine gemeinsame Praxis der Menschen.

(14) Die meisten der hier zitierten Lexika gehen von einer „griechischen“ Mythologie aus und berücksichtigen eine gemeinsame (nicht-schriftliche) Vergangenheit (eventuelle gemeinsame Mythen) nicht. Damit wird aber der Prozeß der Mythologisierung nur einseitig erfasst. Spätere Ordnungsgesichtspunkte werden dominant.

(15) Vgl. Claude Lévi-Strauss zu Myth and Science: a.a.O., S. 3ff.

(16) Ebenso: Ruth und Dieter Groh: Weltbild und Naturaneignung. Zur Kulturgeschichte der Natur. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1996; insbesonders S. 11ff.

(17) Georges Charachidzé: Prométhée ou le Caucase. Flammarion: Paris 1986, S.330.

(18) Naoji Kimura: Der „Ferne Westen“ Japan. Zehn Kapitel über Mythos und Geschichte Japans. Röhrig Universitätsverlag: St. Ingbert 2003.

(19) Auch die Negation der Gemeinsamkeiten bzw. die Konstruktion „nationaler“ Identitäten kann als (destruktive) Gemeinsamkeit begriffen werden.

(20) Penny Martin (Hrsg.): Geographica. Der große Weltatlas mit Länderlexikon. Könemann Verlagsgesellschaft: Köln 1999, S.60. Siehe zu den Migrationsbewegungen seit dem 18. Jahrhundert in Europa: Klaus J. Bade: Europa in Bewegung. Mitgration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Verlag C.H.Beck: München 2000.

(21) Darauf verweist gerade die Integration der Götter. Vgl. auch Anm. 93.

(22) Zum Teil werden diese Kenntnisse bei Charachidzé u.a. bereits einbezogen. Eine transdisziplinäre Zusammenschau steht aber noch aus.

(23) Harald Haarmann: Kleines Lexikon der Sprachen. Von Albanisch bis Zulu. Cerlag C.H. Beck: München 2001, S. 151.

(24) Ebd., S. 148.

(25) Walter Markov (Hrsg.): Kleine Enzyklopädie. Weltgeschichte. Leipzig 1979, S. 359 bzw. S. 405.

(26) dtv-Lexikon. Deutscher Taschenbuchverlag: München 1992, Bd.6., S. 289.

(27) Hans Wilhelm Haussig: Götter und Mythen der kaukasischen und iranischen Völker. Klett-Cotta: Stuttgart 1986. S. 46. Zu „Folklore“ vgl. auch Seite X.

(28) Heinz Fähnrich: Lexikon Georgische Mythologie. Reichert Verlag: Wiesbaden 1999, S. 9.

(29) Otto Schönberger: Nachwort. In: Hesiod: Theogonie, S. 146/147.

(30) Jack Goody: Entre l’oralité et l’ècriture. Presses Universitaires de France: Paris 1994.

(31) Vgl. Kimura in: „Jura Soyfer. Internationale Zeitschrift für Kulturwissenschaften“. 11.Jg., Nr. 1/2002, 9ff. Und: Naoji Kimura: Der „Ferne Westen“ Japan. Zehn Kapitel über Mythos und Geschichte Japans. Röhrig Universitätsverlag: St. Ingbert 2003.

(32) Kritische Bemerkungen zur Schematisierung von „Mythen“ sind zu finden in: Herbert J. Rose: Griechische Mythologie. Ein Handbuch. Verlag C.H. Beck: München 2003, S. 1-12. Er selbst schreibt über Mythologie: „Wir pflegen mit dem Wort Mythologie die wissenschaftliche Beschäftigung mit gewissen Schöpfungen der Phantasie zu bezeichnen, die sich in Form von Erzählungen darbieten. Solche Erzählungen nannten die Griechen Mythen […].“ Ebd., S.1. Damit ist eine Differenzierung unter Einbeziehung der Rezeptionsgeschichte nicht mehr möglich und die Kritik an diversen Verfahrensweisen bleibt abstrakt.

(33) Vgl.: Peter Horn: Foundations and Characteristics of Culture. In EOLSS 6.23. („Culture Civilisation and Human Society“). Im WWW: http://www.eolss.net/ Alle Abfragen für diesen Aufsatz vom 24.8.2003.

(34) Charachidzé, a.a.O., S. 13ff.

(35) Hesiod, Theogonie, S. 144.

(36) Charachidzé, a.a.O., S. 47, 179, 73, 77, 80, 83, 95, 217, . Diese Vielzahl von mythischen Figuren hatten offensichtlich Einfluß auf „Das Buch vom Helden Amirani“. Vgl. zu den mythischen Figuren auch Haussig, a.a.O., S. 44.-46.

(37) Aischylos, a.a.O., S. 11.

(38) Zum Beispiel: Rose, a.a.O., S. 12 u.a.

(39) Vgl. Lévi-Strauss, Anm. 12.

(40) Vgl. Abschnitt 4 in diesem Aufsatz.

(41) Charachidzé, a.a.O., S. 207 ff.

(42) Vgl. zu den Kaukasischen Sprachen u.a.: Georgij Klimov: Einführung in die kaukasische Sprachwissenschaft. Helmut Buske Verlag: Hamburg1994.

(43) Vgl. dazu auch ein Zeugnis von Eznik de Kolb aus dem Jahre 440 u.Z., das sich gegen Schriften wendet, die damals noch existiert haben müssen. Durch ihre Negation wurde ihre Kenntnis möglich. Nach: Charachidzé, a.a.O., S.101ff. Vgl. auch: Heinz Fähnrich: Georgische Literatur. Shaker Verlag: Aachen 1993.

(44) Während der INST-Expedition fand das Fest Atengenoba statt. Vgl. aber vor allem: Georges Charachidzé: Le sytème religieux de la Géorgie païnne. Analyse structurale d’une civilisation. Tome 1, 2. La Découverte: Paris 2001. Hier sind auch wertvolle Abschnitte über Mythen und Riten usw. enthalten.

(45) Im Vorwort beklagt Georges Dumézil die Lage der Forschung über Georgien in Frankreich (ebd., S. 1-2). Dagegen verweist Fähnrich in „Georgische Literatur (Anm. 43) auf eine lange Tradition der wissenschaftlichen Forschungen von Deutschen (S. 7ff.). Auch in Russland gibt es offensichtlich umfangreiche wissenschaftliche Traditionen.

(46) Charachidzé, Prométhée ou le Caucase, a.a.O., S. 14.

(47) Vgl. zum Beispiel die Übersetzung von Peter Handke: Prometheus gefesselt. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1986.

(48) Charachidzé, a.a.O., z.B. S. 322.

(49) Fähnrich, „Georgische Literatur“, a.a.O., S. 23.

(50) Homer und Hesiod schufen nicht nur, wie es heißt (Herodot 2,53) den Griechen ihre Götter und verteilten deren Ehrenämter, sondern bilden auch letztlich den Ausgangspunkt der europäischen Philosophie. Theogonie, a.a.O., S. 141.

(51) Hesiod, a.a.O., S. 43.

(52) Aischylos, a.a.O., S. 7.

(53) Ebd., S.111ff.

(54) Ovid, a.a.O., S.3

(55) Ovid, a.a.O., S. 26.

(56) Rose, a.a.O., S. 342.

(57) Aischylos, a.a.O., S. 111.

(58) Theogonie, Nachwort, S. 144.

(59) Zum Beispiel: Mythos – Eisenzeit – Götterzeit usw.

(60) Ebenso in Amirani-Varianten als auch z.B. bei Aischylos (a.a.O., S. 49,)

(61) Ovid, a.a.O., S.20.

(62) Table de Concordance des Légendes sur Amirani (LA) in: Georges Charachidzé: Prométhée ou le Caucase. Essai de Mythologie Contrastive. Flammarion: Paris 1986. Préface de Georges Dumézil, S. 343/344.

(63) Ebd., S. 338/339.

(64) Ebd., S. 225/226.

(65) Ebd., S. 324/325.

(66) Ebd., S. 290.

(67) Ebd., S. 14/15.

(68) Michail Tschikowani in: Das Buch vom Helden Amirani, a.a.O., S. 181.

(69) Charachidzé, a.a.O., S. 65, 15, 230.

(70) Ebd., 343ff.

(71) Ebd., S. 246.

(72) Zur Rezeption vgl.: Johann Knobloch: Homerische Helden und christliche Heilige in der kaukasischen Nartenepik. Carl Winter, Universitätsverlag: Heidelberg 1991.

(73) Das Buch vom Helden Amirani. Ein altgeorgischer Sagenkreis. Gustav Kiepenheuer Verlag: Leipzig und Weimar 1978. Aus dem Georgischen übersetzt von Heinz Fähnrich. Bearbeitet und mit einem Essay „Amirani und Prometheus“ von Micheil (sic) Tschikowani.

(74) Tschikowani, S. 181. Tschikowani betont auch explizit die Folklore, die im Lexikon auf Haussig (s. Zitat, Anmerkung 27) erwähnt wird: „Der Ursprung der Wortkunst liegt in der Folklore, von ihr sind die vollkommensten künstlerischen Gestalten hervorgebracht worden.“ Folklore wird hier zu einem Begriff, der der Komplexität des Prozesses aber kaum gerecht wird. Und vieles in der Darstellung der Rezeption bleibt auch vage, verweist aber auf das eingehende wissenschaftliche Interesse an Amirani. Es soll daher ausführlich zitiert werden, womit auch einige Momente der Rezeptionsgeschichte deutlicher werden dürften: „Mit dem Anfang des 19. Jahrhunderts, dem Beginn der wissenschaftlichen Folkloristik und Ethnologie, nimmt allmählich die Diskussion über Amirani in Presse und Forschungsberichten zu. Amiranologische Untersuchungen betreiben sowohl georgische Wissenschaftler als auch ausländische Forscher und Reisende. Leider ist bis zum heutigen Tag keine vollständige Bibliographie der Amiranologie zusammengestellt worden, die sicherlich einige Tausend Arbeiten, Aufzeichnungen, Nachrichten und Hinweise in den Sprachen der Sowjetunion und in europäischen Sprachen umfassen würde. Das reichste Material ist natürlich in georgischer Sprache gesammelt worden, danach folgen Russisch, Deutsch, Französisch, Englisch, Tschechisch und Ungarisch… Das Sammeln von Varianten der Amirani-Sage und ihre Fixierung gehen unaufhörlich weiter. 1947 wurde mit Unterstützung der Universität Tbilisi das Korpus dieses Epos unter dem Titel ‚Der angekettete Amirani‘ veröffentlicht. Ihm folgten die zweibändige Untersuchung ‚Das georgische Epos'(1959-1965, Ausgabe der Akademie der Wissenschaften der Georgischen SSR) und das Jugendbuch ‚Die Amirani-Sage‘ (1961 im Nakaduli-Verlag). Der gegenwärtige Stand der Amiranologie ist in der vom Moskauer Verlag „Nauka“ herausgegebenen Monographie ‚Das georgische Volksepos vom angeschmiedeten Amirani‘ (1966) zusammengefasst. In der georgischen Philologie gilt die Amiranilogie heute als Disziplin der Folkloristik und hatte natürlich auch ihre lange Vorgeschichte (vgl. Lexikon der georgischen Folklore, I, 1974). Nach den Werken von Mose Choneli (12.Jh.), Sulchan Taniaschwili (17.Jh.) und Ioseb Tpileli (17.Jh) begann im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts das Sammeln reiner Volkstexte, das bis heute fortgesetzt wird. Betrachtungen über die georgische Mythologie und die Amirani-Sage begegnen in den Arbeiten solcher Gelehrter wie Teimuras Bagrationi, Sulchan Barataschwili, Ws. Miller, A. Weselowskij, G. Potanin, N. Marr, A. Chàchanaschwili, I. Dshawachischwili, K. Kekelisdse, G. Zereteli, M. Dshanaschwili, S. Tschitschinadse, W. Abaew, I. Nusinow, Sch. Nuzubidse, P. Ingoroqwa, A. Baramidse, Sch. Amiranaschwili, S. Dshanaschis, G. Melikischwili, K. Sicharulidse, E. Wirsaladse, A. Ghlonti, A. Uruschadse, E. Meletinskij, Iust. Abuladse, W. Shirmunskij, S. Qauchtschischwili, B. Piotrwoskij und An. Chintibidse…“ Ebd., S. 184/185. Vgl. auch die Bibliographie in Charachidzé, a.a.O., S. 347-354.

(75) Aischylos, a.a.O., S. 27ff.

(76) Quamara in: Das Buch vom Helden Amirani, S. 82 ff.

(77) Charachidzé, a.a.O., S. 235ff.

(78) Siehe auch Anmerkung 44.

(79) Martin Bernal: Black Athena. The Afroasiatic Roots of Classical Civilisation. Vintage: London 1991.

(80) Darunter fällt in der Analyse der Macht auch das Werk von Elias Canetti, insbesondere Masse und Macht.

(81) Vgl. Anmerkung 29. Darüber hinaus sind aber auch in den Ausgaben von Homer, Hesiod, Aichylos afrikanische Bezüge enthalten.

(82) Siehe Anmerkung 12.

(83) Siehe Hesiod und den Vergleich von Charachidzé: S. 108 u.a.

(84) Ebd., S.243ff.

(85) „Das Buch vom Helden Amirani“, a.a.O., S. 60. Unter dem Titel „Der Raub des Feuers“ heißt es auf S. 62: „Bald ließen Sulkalmachi und seine Söhne die Schmiede wieder erklingen.“

(86) Charachidzé, a.a.O., S. 273ff.

(87) Zur Mythologie des Berges siehe: Karl Gratzl: Mythos Berg. Purkersdorf 2000, S.187ff.

(88) Ebd.: Das Buch ist in diesem und in anderen Fällen ein Beispiel dafür, nur die „eigenen“ Texte zu zitieren.

(89) Für den 4. und 5. Juni 2004 wurde eine Konferenz zum Thema „Mythen und Berge“ an der Universität in Tbilissi vorbereitet. Siehe dazu auch: http://www.inst.at/termine/index.htm

(90) Charachidzé, a.a.O., S. 309ff.

(91) Aischylos, a.a.O., S. 109.

(92) Ebd., S. 118.

(93) „Hesiod zeigt, wie Zeus diese Ordnung gegen wilde Ursprungsmächte erkämpft. Die Macht des Zeus erscheint im Schicksal der Iapetiden (besonders im Mythos von Prometheus), aber auch im Sieg über Kronos. Zeus wird für Hesiod zur Verkörperung von Macht, Wissen und Gerechtigkeit. Er gewinnt die Götter der älteren Generation für sich oder verbannt sie für immer (sic).“ Schönberger in: Hesiod, a.a.O., S.152

(94) Charachidzé, a.a.O., S.68.

(95) Umberto Eco: Der Namen der Rose. Deutscher Taschenbuch Verlag: München 2002.

(96) Charachidzé, a.a.O., S. 163ff.

(97) Das Buch vom Helden Amirani, a.a.O., S. 154ff.

(98) Vgl.: Katérina Stenou: Images de l’autre. La Différence: du Mythe au Préjugé. Seuil-Éditions UNESCO: Paris 1998.

(99) Drachen werden in den Bergen von der Wissenschaft noch im 19. Jahrhundert vermutet. Vgl. dazu: Matthias Stremlow: Die Alpen aus der Untersicht. Verlag Paul Haupt: Bern, Stuttgart, Wien 1998.

(100) Charachidzé, a.a.O., S. 91ff.

(101) Ovid, a.a.O., S. 27/28.

(102) Charachidzé, a.a.O., S. 173ff.

(103) Fähnrich, Lexikon, a.a.O., S. 9ff.

(104) Charachidzé, a.a.O., S. 232. Vgl. Auch Ovid, a.a.O., S. 26.

(105) Theodor Kramer. In: Andre, die das Land so sehr nicht liebten… Zupfgeigenhansel. Lieder nach Texten von Theodor Kramer. Verlag „pläne“: Dortmund 1985.

(106) Lied am Rand. Wenzel singt Theodor Kramer. Buschfunk-Vertrieb: Berlin 1997.

(107) Vgl. dazu: Homi K. Bhabha (ed.): Narration and Nation. Routledge: London und New York 1990.

(108) Beispiele aus der Literatur wären: Büchner, Brecht, Soyfer, Musil u.v.a.

(109) Charachidzé, a.a.O., S. 314. Hier wird die rohe Kraft von Amirani der Intelligenz von Prometheus gegenübergestellt. Ein Beispiel einer Darstellung bietet folgendes Buch: Amirani. Ein georgisches mythologisches Epos. Verlagshaus Sawsnota Skartvelo: Tiflis 1975 (Georgisch). Siehe dazu insbesondere die Bebilderungen.

(110) Vgl. neben Groh (Anm.) auch: Claude Lévi-Strauss: Myth and Meaning, a.a.O., S.3.

(111) Die Weisheit der Lüge: Unter diesem Titel erschien eine Sammlung von Texten von Sulchan-Saba Orbeliani: Rütten&Loening: Berlin 1973. Dazu im Nachwort über Orbeliani: „Er erkundet mit dialektischem Instinkt die Funktion der Form in der Funktion der Lüge.“ (Ebd., S. 259.) In diesem Sinne ist er auch ein gewichtiger Vorläufer von Baudolino (S. Anmerkung 1).

(112) Gerade mit dieser Form der Interpretation eröffnet auch Peter Weiss seinen monumentalen Roman „Die Ästhetik des Widerstands“ (Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main 1976). Im Zentrum der Rahmenhandlung steht Herakles, der auch im Roman immer wieder eine Rolle spielt. Und eben dieser Herakles war es auch, der Prometheus befreite.

(113) Ovid, a.a.O., S.14: „Die imaginären Länder sind wirkliche Länder, und die Sterblichen sind durch und durch Menschen, aber göttliche Wesen wandeln unter ihnen, und Wunder sind an der Tagesordnung.“

(114) Z.B. in: Rainer Kaufmann: Kaukasus. Prestel: München u.a. 2000, S.115. Im Register kommt Amirani aber nicht vor.

(115) Nicht berücksichtigt werden die georgischen Quellen zum Beispiel in: Lexikon der Antike. Hrsg. Von Johannes Irmscher. Leipzig 1977 (Prometheus: S. 453); Félix Guirand/Joël Schmidt: myths & Mythologie. Larousse: Paris 1996; Knauers Lexikon der Mythologie. Hrsg. Von Gerhard Bellinger. Droemer Knaur Verlag: Augsburg 2001.

(116) Einige sehr unterschiedliche Beispiele der letzten Jahre: Kay Kohlmeyer/Geraldine Saherwala: Frühe Bergvölker in Armenien und im Kaukasus [Ausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte, Berlin, 1983]. Berlin 1983; Friedrich Bender: Classic Climbs in the Caucasus. Diadem Books: London 1991; Gerhard Schmidt/Lydia Schmidt: 5000er. Rother: München 1993; Audrey Alkeld/Jose Bermudez: On the Edge of Europe: Mountaineering in the Caucasus. Mountaineers Books: 1994; Maria Enichlmair: Bertha von Suttner im Kaukasus. Diss.: Wien 2001; Werner Seibt (Hrsg.): Die Christianisierung des Kaukasus. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: Wien 2002.