Berge im Lied

Von Hans-Friedrich Müller (Büdingen/Deutschland)

Thema „Berg“

Berge sind „deutlich die Umgebung überragende Geländeerhebungen, vom Hügel durch die relative Größe unterschieden“(1). Doch gerade dieses Herausragen aus der übrigen Umgebung führte in allen Religionen dazu, Berge zu heiligen Stätten zu erklären und Kultstätten zu errichten. Als Beispiel aus dem jüdisch-christlichen Raum nenne ich den Berg Sinai(2), den Djebel Musa(3) und den Berg Tabor im Jezreeltal. Weiters sollen der Moseberg, der Djebel Musa und der Berg Tabor(4) genannt werden.

Der Mensch, der an und für sich ein homo religiosus ist, sucht solche Orte auf. Die Orte, die oft von fern und nah zunächst Orte der Anschauung sind, fordern den Menschen in der Ebene und im Tal auf, hinaufzuziehen, den Gipfel in der Natur zu genießen, die Begegnung am oder im Heiligtum auf sich wirken zu lassen. Das findet seinen Niederschlag in der profanen und in der sakralen Dichtung. So Verdichtetes wird von alters her in Töne gefasst. Am deutlichsten wird das in der manchmal den Alltag begleitenden Gesangsform, dem Lied.

Thema „Lied“

Das Lied dient auch heute noch – besonders in außereuropäischen Religionen – kultischen Zwecken(5). Liedmelodien bewegen zu allen Zeiten die Gemüter derer, die ein Lied selbst singen, ein Lied hören oder sich aktiv am Gesang in Gruppen oder Chören beteiligen.

So regt das Lied – ob Sieges- oder Liebeslied, Arbeiter-, Soldaten- oder Wanderlied, Freuden- oder Trauergesang – das Gefühlsleben an, fordert zur Betrachtung, Besinnung und oftmals zur Deutung des Lebens auf. So wurde durch die Jahrhunderte hindurch auch die „deutlich aus der Umgebung überragende Geländeerhebung“ (a.a.O.) in Dichtung und Liedkompositionen aufgenommen. Das gilt sowohl für das geistliche als auch für das weltliche Lied.

Thema „Berg und Lied“

Wer in einer Konkordanz das Wort „Berg“ nachschlägt, muß feststellen: Der Begriff „Berg“ füllt allein in der Aufzählung mehrere Spalten aus. Der Ausdruck „Berg im Lied“ kommt in der Bibel aber nur indirekt vor. Es muß dennoch angenommen werden, daß bei Opferhandlungen am Fuß eines Berges und auch bei Opferhandlungen auf dem Gipfel eines Berges Musik eine nicht unwesentliche Rolle spielte. Auf Wallfahrten im mitteleuropäischen Raum wird beim „Hinaufwallen“ gesungen. Solche Wallfahrtslieder sind in allen Jahrhunderten bekannt.

In den Psalmen, die zum größten Teil dem König Israels, David, dem Mann, der in der Kunst oft mit einer Zitter dargestellt wird, zugeschrieben werden, ist immer wieder die Aufforderung enthalten: „Singet!“ Im Psalm 92,1 steht z.B.: „Psalmlied auf den Sabbat-Tag“.

Von den 150 Psalmen, die im Liber psalmorum im Alten Testament zusammengefaßt sind, werden 14 Psalmen zu den Wallfahrtspsalmen gerechnet (Ps. 120 – 134).

Im Psalm 121 heißt es: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen“; und der Beter fragt: „Woher kommt mir Hilfe?“ Und er gibt sich selbst – gleichsam als Bekenntnis – die Antwort: „Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“, also von keinem Berggott wie bei einer Naturreligion.

Zu den neuen Wallfahrtsliedern und Bergbesteigungsliedern zu heiligen Stätten auf Bergen zählt das Lied „Näher, mein Gott, zu dir, näher zu dir […]“(6)

Nicht nur in der Versammlung der Gemeinde oder beim Anblick eines Berges mit oder ohne Heiligtum wurde gesungen. Sogar in den Zechen soll das Loblied Gottes gesungen worden sein: „[…] und in den Zechen singt man von mir.“(7)

Immer wieder wird das Leben eines Volkes oder das Leben des Einzelnen mit einem „Auf und Ab“, mit „Höhen und Tiefen“ im Leben verglichen. Der Beter des Psalms 23 sagt: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal.“ Aber Glaubende wissen, daß das alles – die Gefangenschaft in Leid und die Knechtschaft in Sünde und Schuld und somit in einem gottfernen Leben – ein Ende haben wird. Diese Botschaft hat Georg Friedrich Händel (1685-1759) in seinem geistlichen Oratorium „Der Messias“(8) in Tönen gemalt und beginnt mit einem Wort des Propheten Jesaja: „Tröstet, tröstet mein Volk …“ (Jes.40,1). Und damit „Missetat“ und „Knechtschaft“ ein Ende haben werden, kann der Mensch seinen Anteil leisten, indem er „dem Herrn den Weg“ bereitet. Und damit es kein Auf und Ab im Leben mehr gibt – hier der Vergleich im Bild der Natur in der ersten Tenor-Arie(9):

Alle Tale macht hoch erhaben
und alle Berge und Hügel tief,
das Krumme grad
und das Rauhe macht gleich.

Thema „Berg im geistlichen Lied“

Aus den verschiedensten Liederbüchern der Religionen der Welt, habe ich ein Liederbuch der Christenheit, das zuletzt erschienene Evangelische Gesangbuch (EG) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit dem Anhang der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) ausgewählt und es nach dem Begriff „Berg“ im geistlichen Lied als Beispiel durchsucht.(10)

Aus dem Psalmvers „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser“ (Ps.&nbsp42,2), ist das Lied entstanden: „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser“.(11)

In diesem Psalm bzw. Lied bittet der Beter um Licht und Wahrheit. Ohne Licht findet man den Weg nicht, ohne Wahrheit ist der Mensch nicht befähigt, den Weg zum heiligen Ort zu gehen. Ohne Licht und Wahrheit würde er nicht befähigt und berechtigt sein, den Weg zum heiligen Ort zu gehen. Er würde nicht gebracht werden „bis zu deinem heiligen Berg, bis zu dem Ort, wo du wohnst“. So drückt Trautwein aus, „Gott wohnt in einem Lichte“ in und an einem Ort, den er sich bildlich nur auf dem Berg vorstellen kann.

Ein Osterlied erinnert an ein Wort Jesu, das er auf einem Berg vor den Mauern Jerusalems gesprochen hat, auf Golgatha: „Es ist vollbracht!“ Die Christenheit bekennt: Jesus, der Christus, hat durch sein Leiden bis ans Kreuz und durch seinen Tod dem Tod die Macht genommen und die Werke des Teufels zerstört und spricht auch dem gottfernen Menschen zu: „Du wirst im Paradiese sein.“ So schreibt Michael Weisse im Jahre 1531:

Christus hat alle Schrift erfüllt und dadurch Todes Trotz gestillt,
und sein Wort auf dem Berg hat zerstört des Teufels Werk
[…](12)

Schon einmal wurden den Mosesscharen als dem wandernden Volk Gottes Worte zum Überleben gegeben, damals um 1250 vor Christus auf und am Berg Sinai.(13)

Für Martin Luther (1483-1546) waren diese zehn Gebote vom Sinai so wichtig, daß er ein Lied darüber geschrieben hat, das die genaue Ortsangabe enthält. Das Lied wurde in die Lieder zur Beichte aufgenommen:

Dies sind die heilgen zehn Gebot, die uns gab unser Herr und Gott
durch Mose seinen Diener treu, hoch auf dem Berge Sinai. Kyrieleis.
(14)

In vier Liedern wurden „Berg und Tal“ als zusammengehörend genannt. In einem Adventslied heißt es:

O Erd‘, schlag aus, schlag aus,o Erd‘
daß Berg und Tal grün alles wird.
(15)

Der Dichter bevorzugt nicht den Berg, sondern schließt das Tal mit ein und schließt somit die ganze Erde mit ein, denn die „himmlische Gab“ soll überall wirken.

Doch nicht nur Sonne und Regen sollen ihre Wirkung zeigen, mit dem Auge wahrnehmbar, sondern auch das Ohr soll erfüllt werden von dem, was zur Schöpfung gehört:

Die Lerche schwingt sich in die Luft,
das Täublein fliegt aus seiner Kluft und macht sich in die Wälder;
die hochbegabte Nachtigall ergötzt und füllt mit ihrem Schall
Berg, Hügel, Tal und Felder.
(16)

Es könnte der Eindruck entstehen, die Dichter würden „Berg und Tal“ nur um des Reimes oder der Tonfülle willen sich gegenseitig ergänzen lassen. Doch die Dichter wollen tatsächlich durch diese Zusammennennung die ganze Schöpfung mit einbezogen wissen.

Vor der Lerche läßt David Rumpius schon die Engel singen:

[…] er leucht daher zu dieser Stunde
hoch über Berg und tiefe Tal
vor Freud singt uns der lieben Engel Schar.
(17)

Dieses Lied ist unter den Adventsliedern eingeordnet.

Im Abschnitt „Glaube – Liebe – Hoffnung“ ist unter „Auf Reisen“ das Lied „In Gottes Namen fahren wir“ im Vers 3 zu lesen:

So wird kein Berg noch tiefes Tal
kein Wasser irrn uns überall
.(18)

Der Berg und das Tal werden hier zunächst als Hindernis genannt, doch – so singt der Dichter weiter – „…froh kommen wir an unsern Ort, wenn du uns gnädig hilfest fort.“ In diesem Vers sind Berg und Tal und unüberwindliche Wassermassen symbolisch gemeint, Hindernisse, die sich uns auf dem Weg unseres Lebens in vielfacher Weise entgegenstellen.

„Laudate si, o mio Signor […]“, singt die Jugend nicht nur bei internationalen Treffen. Die Übersetzung steht im Evangelischen Gesangbuch „Sei gelobt, o mein Herr“ und ist nach dem Sonnengesang des Franz von Assisi 1225 gedichtet. Im 4. Vers heißt es:

Sei gepriesen für deine hohen Berge!
Sei gepriesen für Feld und Wald und Täler!
(19)

Der Prophet Jesaja, um 740 v. Chr. berufen, nimmt in seine prophetische Schau über Zion, „aus dem Heil und Frieden kommt über alle Völker“, das Bild des Berges auf:

Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen,
höher denn alle Berge, und über alle Hügel erhaben werden,
und werden alle Heiden dazu laufen und viele Völker hingehen und sagen:
Kommt, laßt uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des Gottes Jakobs
.(20)

Walter Schulz nimmt diesen Prophetenspruch ernst, verarbeitet ihn in ein Lied, und die Herausgeber des Gesangbuches stellen das Lied unter die Rubrik „Erhaltung der Schöpfung“.

Es wird sein in den letzten Tagen, so hat es der Prophet gesehn,
da wird Gottes Berg überragen alle anderen Berge und Höhn.
(21)

Durch dieses Lied werden Menschen ermuntert, die Schöpfung zu bewahren. So wie Kreuze an Weggabelungen an den Gekreuzigten erinnern sollen, soll der Anblick der Berge an die Aussagen der jüdisch-christlichen Lehre erinnern.

Wann beginnt die Endzeit? Für jeden Menschen ist die Endzeit angebrochen, wenn ihm der Atem genommen ist. Vielleicht hofft er sich, „in Gott zu sein“. Johann Matthäus Meyfart drückt diese Hoffnung so aus, daß er „die Stadt auf dem Berge“, die für Juden, Christen und Muslime im irdischen Jerusalem konkret besteht, in eine überirdische Welt verlegt:

Jerusalem, du hochgebaute Stadt
wollt Gott, ich wär in dir!
Mein sehnend Herz so groß Verlangen hat
und ist nicht mehr bei mir.
Weit über Berg und Tale, weit über Flur und Feld
schwingt es sich über alle und eilt aus dieser Welt.
(22)

Thema „Berg im weltlichen Lied“

Im Kindergarten- und Vorschulalter lernen die Kinder das Lied „Zwischen Berg und tiefem, tiefen Tal saßen einst zwei Hasen.“ Es ist ein Volkslied aus dem Bergischen Land. Dieses Lied hat aber als „Bewegungslied“ Einzug gehalten in fast allen Ausbildungsstätten für Kindergärtnerinnen.(23)

Leider ist aus Schulen und Kasernen und somit aus Zechgelagen ein Lied aus der Kolonialzeit nicht auszulöschen: „Wie oft sind wir geschritten auf schmalem Negerpfad wohl durch der Steppe Mitten, wenn früh der Morgen naht. Wie lauschten wir dem Klange, dem alten trauten Sange der Träger und Askari: Heia, heia, Safari.“

In diesem menschenverachtenden Lied heißt es dann in falschverstandener Romantik:

Steil über Berg und Klüfte
durch tiefe Urwaldnacht,
wo schwül und feucht die Lüfte
und nie die Sonne lacht,
durch Steppengräserwogen
sind wir hindurchgezogen
mit Trägern und Askari: Heia, heia, Safari!
(24)

„Berg“ und “ Morgenfrühe“ gehören in zivilisierteren Liedern auch zusammen: In den Tagesablauf in der Frühe des Tages ist bei Hans Baumann der Berg gleichsam als „Klanglenker“ mit einbezogen:

Und die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit,
wenn die Winde um die Berge singen;
die Sonne macht dann die Täler weit;
und das Leben, das Leben,
das wird sie uns bringen.
(25)

In Wandervereinen wird gern ein Lied gesungen, in dem gesagt wird, was der gesunde Mensch tut und tun sollte, wenn ihn Sorge und Qual drücken. In diesem Lied wird der Berg als Ort der Gesundung genannt.

Im Frühtau zu Berge wir gehn, fallera,
es grünen die Wälder, die Höhn, fallera.
Wir wandern ohne Sorgen
singend in den Morgen,
noch ehe im Tale die Hähne krähn.
Werft ab alle Sorge und Qual, fallera,
und wandert mit uns aus dem Tal! Fallera.
Wir sind hinausgegangen,
den Sonnenschein zu fangen.
Kommt mit und versucht es auch selbst einmal.
(26)

Das Tal wird als Ort, in dem sich die Wolken aufhalten, gedacht – „Wolken“ als Ausdruck des Bedrücktseins im Leben.

Und weil die Welt so schön ist und Bedrücktsein nicht Dauerzustand sein muß, kann der Wanderer sogar auf Reisen „wohl in die weite Welt“ auf Hilfsmittel verzichten – im Lied dargestellt: „Wir brauchen keine Pferde“.

Wir steigen hin auf Berge und auf Hügel,
wo uns die Sonne sticht.
(27)

In einem Lied, dessen Text und Melodie nur mündlich überliefert sind, ist zusammengefaßt, was „Berg“ alles beinhaltet und bedeutet: Die Anschauung und das Wissen um einen Berg läßt „in unsern Herzen“ eine „Sehnsucht“ brennen, zum Gipfelkreuz aufzusteigen. Die aufsteigende Gruppe bezeichnet sich als Gemeinschaft von „Bergvagabunden“, d.h. nach dem Fremdwörterbuch „Der kleine Duden“: am Berg herumziehende „Landstreicher“ oder „Herumtreiber“. Sie sind „Extremsportler“.

So mit dem Berg Verbundene nennen die Berge ihre Brüder, so wie Franz von Assisi in seinem Sonnengesang (Entstehungszeit Winter 1224/25) von „Schwester Sonne“ und „Bruder Mond“ und der Häuptling Seattle von der Erde als „Mutter“ sprechen(28):

Vers 1:

Wenn wir erklimmen schwindelnde Höhen,
steigen dem Gipfelkreuz zu,
in unsern Herzen brennt eine Sehnsucht,
die läßt uns nimmermehr in Ruh.
Herrliche Berge, sonnige Höhen,
Bergvagabunden sind wir.

Vers 2:

Mit Seil und Hacken, den Tod im Nacken
hängen wir an der steilen Wand
[…]

Vers 4:

Beim Alpenglühen heimwärts wir ziehen,
Berge, die leuchten so rot.
Wir kommen wieder, denn wir sind Brüder,
Brüder auf Leben und Tod.
Lebt wohl ihr Berge, sonnige Höhen,
Bergvagabunden sind treu.
(29)

Da Berge oft auf den Höhen eines Tales liegen, durch das ein Fluß fließt, werden Burgen zusammen mit einem Fluß genannt.

Auf den Bergen die Burgen,
im Tale die Saale.
(30)

Und bei dem Dichter dieser Zeilen wurden Erinnerungen wach, denn vielleicht nach Jahrzehnten stand der ehemalige Student wieder auf der Höhe oberhalb der Saale, die Burg nennt er nicht und schließt sein Lied:

Ich alleine, der eine, schau wieder
hernieder zur Saale im Tale,
doch traurig und stumm.

Und noch ein Lied wird in studentischen Kreisen gern gesungen, wieder geht es um die Saale, doch diesmal sind die Burgen genannt:

Dort Saaleck, hier die Rudelsburg, und drunten tief im Tale
da rauschet zwischen Felsen durch die alte liebe Saale;
und Berge hier, und Berge dort zur Rechten und zur Linken
die Rudelsburg, das ist ein Ort zum Schwärmen und zum Trinken
.(31)

Schutz-, Trutz- und Beobachtungsburgen standen an den Flüssen an wichtigen Orten, sie sind zerfallen, da und dort stehen noch die Ruinen und locken Wanderer, Künstler, Dichter und Liebespaare an.

Zu den Füßen der Berge sind da und dort Siedlungen entstanden, die zu Universitätsstädten wurden. Für manchen Studiosus auch eine „Stadt der Muse“.

Andre mögen andre preisen als der Musenstädte Zier,
Alma mater Tubingensis, unser Lob erschalle dir.
Zwischen Berg- und Rebgelände schön wie eine Braut sie liegt,
Liebe rauschend ihr zu Füßen kosend sich der Neckar schmiegt.
(32)

Wilhelm Fischdick, geb.1892, dichtet im Hinblick auf seine Studienzeit in Marburg:

„Bergauf kam ich gezogen…“, spricht von der Stadt „zu meinen Füßen, dem Hügel angeschmiegt“. Er spricht von den Freuden mit den Mitzechern und schreibt:

Die Lahn selbst kann nur spiegeln, sie fließt dir doch vorbei,
und schimmert andern Hügeln, ich kann dir bleiben treu.
(33)

Nicht Studienstadt und Fluß werden im Lied von Rittershaus besungen, sondern ein ganzes Land:

Ihr mögt den Rhein, den stolzen, preisen, der in dem Schoß der Reben liegt […]

Er spricht nicht von Bergeshöhen, sondern von dem, was im Berg verborgen ruht:

[…] wo in den Bergen ruht das Eisen, da hat die Mutter mich gewiegt.
Hoch auf dem Fels die Tannen stehn, im grünen Tal die Herden gehen.
(34)

Und da und dort leben die Menschen von dem, was im Berg ist, vom Erz und von der Kohle, die da verborgen liegen. Zwei Arbeitslieder sind über die Erz- und Kohlegebiete hinaus bekannt – nicht erst seit Bergmannskapellen und -chöre durchs Land ziehen.

Glück auf, ihr Bergleut‘, jung und alt, seid froh und wohlgemut.
Erhebet eure Stimmen bald, es soll noch werden gut.
Gott hat uns all’n die Gnad gegeben, daß wir vom edlen Bergwerk leben.
Drum singt mit uns der ganze Hauf: Glück auf! Glück auf! Glück auf!
(35)

Fast alle Bergmannslieder enden mit Besingen eines „Mädeleins“.

In den romantisch überzogenen Arbeitslieder werden die Gefahren, die Bergleuten drohen, übersehen, ebenso der Schmerz der Hinterbliebenen, wenn Männer und Söhne nicht mehr das Tageslicht erblicken können. Dies wird in einer Reihe von Liedern der Arbeiterbewegung dargestellt.

In einer Volksweise aus dem XVIII. Jahrhundert ist auch der Bergmannsgruß „Glück auf“ eingearbeitet: Es ist „vom hellen Licht bei der Nacht“ die Rede:

Hat’s angezündt, es gibt ein Schein
und damit so fahren wir bei der Nacht ins Bergwerk ’nein
.(36)

In so manchem Wanderliederbuch ist das Lied „Aus grauer Städte Mauern ziehn wir durch Wald und Feld“ enthalten.(37) Im dritten Vers heißt es:

Ein Heil dem deutschen Walde, zu dem wir uns gesellt.
Hell klingts durch Berg und Halde: Wir fahren in die Welt!

Dem Grau und Enge der Stadtmauern wird die Weite der Welt gegenübergestellt, zu den, die Weite wird so groß empfunden, daß „der Himmel unser Zelt“ genannt wird.

Als Beispiel, wie Berge in die Sagenwelt aufgenommen werden, sei das Lied genannt: „Hohe Tannen weisen die Sterne an der Iser wildspringender Flut, liegt das Lager auch in weiter Ferne, doch du, Rübezahl, hütest es gut.“(38)

Rübezahl, die Sagengestalt im Riesengebirge, der, „der du Sagen und Märchen erspinnst“ (Vers 2) wird im 3. Vers des genannten Liedes gebeten:

Komm zu uns ans lodernde Feuer,
in die Berge bei stürmischer Nacht.
Schirm die Zelte, die Heimat, die teure,
komm und halte mit uns treue Wacht.

Es fällt auf, daß die genannten Lieder stark von romantischen Zügen geprägt sind. Am Ende des XIX. Jahrhunderts, nach dem Kulturkampf, der Industrialisierung ganzer Arbeitsbereiche und im Laufe des XX. Jahrhunderts mit seinen Nöten und Sorgen wurden romantisierende Züge in der Dichtkunst und somit auch die Arbeitslieder wie die Aussagen über die Arbeit selbst „entmythologisiert“.

In den Gedichten und Liedern kommen häufiger das Leiden der Menschen vor. Die Schutzfunktion der Berge gerade in den Partisanenkämpfe in der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts und die Veränderungen in den verschiedensten Berufszweigen – vom Bergmann bis hin zum Forstarbeiter – lassen den Berg in seinen Eigenschaften und Wirklichkeiten in einem anderen Licht erscheinen.

Mehr als nur literaturgeschichtliche Bedeutung und über das gefühlsmäßig Hinausgehende bei den genannten Liedern kommt einer anderen Musikgattung zu: Dem Hymnus. Zwei Drittel eines Nachbarlandes Deutschlands werden von Bergen bedeckt: Österreich.

Es ist nicht verwunderlich, daß dieses Land, geprägt von seinen Menschen in Landwirtschaft und Industrie, seiner Landschaft und Kultur, dem Land, das bedeutende Musiker, Dichter und Ärzte hervorgebracht hat, in seine Hymnen die Berge mit aufgenommen hat:

Land der Berge, Land am Strome,
Land der Äcker, Land der Dome,
Land der Hämmer, zukunftsreich!
Heimat bist du, großer Söhne,
Volk, begnadet für das Schöne,
vielgerühmtes Österreich.
(39)

Anmerkungen

(1) Brockhaus-Enzyklopädie. 19., völlig neubearbeitete Auflage, 1987, 3.Bd., S.110.

(2) 2. Mose 19.

(3) „Eine frühchristliche Kirche, deren Entstehungszeit nicht feststeht, ist heute noch auf der Spitze des Djebel Musa zu sehen.“ (Zitat aus dem Hallwag-Reiseführer „Heiliges Land“, Bern 1975).

(4) Auf diesem 563 m hohen Kugelberg, nördlich von Afula, befand sich schon zur frühchristlichen Zeit eine Kirche, die durch die „Taborkirche“ im Jahre 1873 ersetzt wurde.

(5) „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“, Bärenreiter-Verlag Kassel, 1960, Band VIII, Stichwort „Lied“.

(6) Deutsches Gemeinschaftsliederbuch „Reichslieder“, Gerhard Möbius Evangelischer Verlag, Neumünster in Holst, Ausgabe 1975.

(7) Psalm 69, 13 b.

(8) „Der Messias“ von Georg Friedrich Händel; Uraufführung in Dublin am 13.April 1742.

(9) Nr. 2, Tenor-Arie aus dem Messias.

(10) Evangelisches Gesangbuch (EG), Ausgabe für die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, Spener Verlagsbuchhandlung Frankfurt/Main, 1994, 1.A.

(11) EG 278, Text von Dieter Trautwein 1983, Melodie von Volker Ochs 1984.

(12) EG 104, ein Osterlied von Michael Weisse 1531, Melodie von Otto Riethmüller 1932.

(13) Die zehn Sätze (Gebote) vom Sinai 2. Mose 20, 1-171(14), EG 231, Text Martin Luther 1524, Melodie nach einem alten Wallfahrtslied aus dem XII. Jahrhundert.

(15) EG 7, Vers 3, Text von Friedrich Spee 1622, Melodie Köln 1666.

(16) EG 503, Vers 3, Text: Paul Gerhardt 1653, Melodie: August Harder vor 1813.

(17) EG 69, Vers 1, Text: Daniel Rumpius 1587, bearbeitet von Otto Riethmüller 1932, Melodie aus dem XV. Jahrhundert.

(18) EG 498, Text: Nikolaus Herman 1560, Melodie nach einem Kreuzfahrerlied aus dem XII. Jahrhundert.

(19) EG 515, Text nach Franz von Assisi, Melodie mündlich überliefert und wird von Treffen zu Treffen weitergegeben.

(20) Jes.2, 2-3a; unter „Heiden“ sind alle Völker zu verstehen, die nicht vom Blute her zu den Nachkommen „Abrahams, Isaaks und Jakobs“ gehören.

(21) EG 426, 1, Text Walter Schulz 1963; Melodie von Manfred Schlenker 1985.

(22) EG 150, Vers 1; Text Johann Matthäus Meyfart 1626, Melodie Melchior Franck 1663.

(23) „Großes deutsches Liederbuch“, Naumann & Göbel Verlagsgesellschaft Köln 1984. Volkstümlich aus dem Bergischen Land in Hessen seit etwa 1820.

Zwischen Berg und tiefem Tal die Kinder stellen sich auf die Fußspitzen und strecken die Arme hoch
saßen einst zwei Hasen – setzen sich schnell auf den Boden
fraßen ab das grüne, grüne Gras – bewegen ihre Finger am ausgestreckten Arm,
bis auf den Rasen. als würden sie Gras rupfen

(24) Text und Melodie: Robert Götz, Voggenreiter Verlag, Bonn-Bad Godesberg, zitiert aus: „Wir singen mit“ (Wsm), Band 2, Januar 1988.

(25) Text und Melodie: Hans Baumann (geb. 1914), zitiert aus „Liederbuch des Wingolfs“ (LdW), Druckhaus Ernst Kaufmann, 1995, 8.A.

(26) LdW, a.a.O., Nr. 126, S. 164 ; Text von Olaf Thäumann, Schwedische Studentenweise.

(27) Text mündlich überliefert, Melodie aus Hessen, zitiert nach Wsm Nr. 59, S. 77.

(28) Häuptling Seattle, geb. um 1786, Häuptling der Duwamish und Suquamish, eines Fischerstammes an der Westküste Nordamerikas.

(29) Zitiert nach Wsm Nr. 72, S. 94.

(30) LdW, a.a.O., Nr.31, S.54; Text: Lebrecht Treves (1816-1870), 1842; Melodie: Wilhelm Stade (1817-1902), 1847.

(31) LdW, a.a.O., Nr. 66, S. 96; Text und Melodie: Hermann Allmerss (1821-1902), 1845.

(32) LdW, a.a.O., Nr. 213, S.271; Text: Ernst Diesterl (1862-1930); Melodie: Heinrich Pfannschmidt, 1914.

(33) LdW, a.a.O., Nr. 214, S. 272; Text: Wilhelm Fischdick (geb.1892); Melodie: Fritz Katz (geb. 1900).

(34) LdW, a.a.O., Nr. 125, S.163; Text: Emil Rittershaus (1834-1897), 1868; Melodie: Peter Johann Peters (1820-1870), 1868.

(35) Volkslied aus dem Harz.

(36) „Großes deutsches Liederbuch“, Naumann & Göbel, Verlagsgesellschaft Köln 1984.

(37) LdW, a.a.O., Nr. 39, S. 63; Text: Hans Riedel; Melodie:Robert Götz.

(38) Wsm, Nr. 41, S.58; Text und Melodie mündlich überliefert.

(39) Österreichische Nationalhymne; Text: Paula von Preradovic (1887-1951); Melodie: Johann Holzer (1753-1818); zitiert nach LdW, a.a.O., Nr. 7, S.21.